Rz. 8
Die Umdeutung ist nur erforderlich und möglich, wenn ein fehlerhafter VA vorliegt, wobei die Fehlerhaftigkeit sowohl formell und materiell rechtswidrige VA umfasst. Für die Zulässigkeit der Umdeutung setzt Abs. 1 Grenzen und stellt zwingende Voraussetzungen auf, an denen zumeist die Umdeutung materiell-rechtlicher VA scheitert.
Rz. 9
Überwiegend wird (unter Hinweis auf die Gesetzesbegründung zu § 47 VwVfG, BT-Drs. 7/910 S. 67) angenommen, dass auch ein nichtiger VA umdeutungsfähig sei. Da aber der nichtige VA unwirksam ist und keine Rechtsfolgen auslöst (§ 39 Abs. 3), würde durch die Umdeutung dem nichtigen VA erst die Wirksamkeit und damit der Charakter eines Rechtsfolgen auslösenden VA gegeben, so dass keine Umdeutung mehr stattfindet, sondern im Ergebnis überhaupt erst ein VA erlassen wird.
Rz. 10
Der durch Umdeutungserklärung erreichte VA muss den gleichen Gesetzes- oder Verwaltungszweck verfolgen und in seiner materiell-rechtlichen Tragweite vergleichbare Rechtsfolgen auslösen. Die Regelung muss nicht im Sinne rechtstechnischer Begriffe identisch sein, sondern es genügt, wenn sie auf den gleichen inhaltlichen Zweck abzielt. Aufgrund der Regelungsstruktur des materiellen Rechts der Sozialleistungen kommt eine solche Situation bei Leistungsbescheiden kaum vor. Den einzelnen Leistungsträgern steht zumeist nur die Möglichkeit zur Verfügung, aufgrund einer bestimmten Bedarfslage einen VA über eine ganz bestimmte Leistung zu erlassen, ohne dass ähnliche Leistungen mit gleichem inhaltlichen Zweck vorgesehen sind. Daher sind Fälle der Umdeutung eines materiell-inhaltlichen VA (z. B. Leistungsbescheid) kaum denkbar. Die Umdeutung bezieht sich daher – auch soweit eine solche in der Rechtsprechung vorgenommen wird – auf eher verfahrenstechnische Voraussetzungen eines VA (Austausch einer Ermächtigungsgrundlage etc.). Wenn der Bescheid über das Ruhen eines Anspruchs in eine Entziehung umgedeutet wird oder die Leistungsablehnung in eine Aufhebung, wird damit letztlich weitgehend (nur) die rechtliche Grundlage ausgetauscht oder die rechtlich zutreffende Art des VA benannt. Dagegen kann ein auf § 48 gestützter Rücknahmebescheid nicht in einen Aufhebungsbescheid umgedeutet werden, da die Rücknahme nach § 45 die Ermessensausübung voraussetzt (Ausnahme aber im Arbeitsförderungsrecht wegen § 330 Abs. 2 SGB III, vgl. oben Rz. 2). Zulässig ist es aber, die nach § 45 nur für die Zukunft vorgenommene Aufhebung in eine Rücknahme nach § 48 umzudeuten, da diese die gleiche Auswirkung hat (einschränkend für den Fall, dass neben der Änderung der Rechtsgrundlage noch Begründungen zu weiteren Änderungen hinsichtlich des aufzuhebenden VA vorgenommen werden müssen: Bay. LSG, Urteil v. 20.5.2009, L 13 R 10/09). Der diesbezügliche Austausch der Ermächtigungsgrundlage wird in der Rechtsprechung nicht stets als Umdeutung eingeordnet; vielfach wird insoweit nur eine Auswechslung der Rechtsgrundlage angenommen, also eine Änderung der Begründung des VA (BSG, Urteil v. 21.6.2011, B 4 AS 21710 R; vgl. auch Rz. 5). Eine Umdeutung ist dann aber erforderlich, wenn die Regelung selbst, also der Verfügungssatz betroffen ist (BSG, Urteil v. 10.9.2013, B 4 AS 89/12 R).
Eine fehlerhaft auf § 47 gestützte Entscheidung kann nach § 43 in eine Aufhebung nach § 48 umgedeutet werden (VG Freiburg, Urteil v. 11.11.2009, 2 K 2260/08). Nach Auffassung des Bay. LSG (Urteil v. 22.4.2010, L 14 R 1011/08) soll die Umdeutung eines Bescheides über eine Rentenablehnung in einen auf § 48 gestützten Aufhebungsbescheid möglich sein, weil beide Bescheide auf dasselbe Ziel gerichtet seien, nämlich die Versagung der Rente ab einem bestimmten Zeitpunkt. Dies begegnet aber jedenfalls dann Bedenken, wenn der Behörde ersichtlich überhaupt nicht bewusst war, dass für den Erlass einer neuen Regelung zunächst ein vorausgegangener und entgegenstehender Bescheid aufgehoben werden muss. Zwischen einer Aufhebung vorläufig bewilligter Leistungen nach § 40 Abs. 1 SGB II i. V. m. §§ 48, 50 SGB X und einer Erstattungsforderung nach § 40 Abs. 2 SGB II i. V. m. § 328 Abs. 3 SGB III ist die erforderliche Gleichartigkeit gegeben (LSG Nordrhein-Westfalen, Beschluss v. 23.5.2013, L 7 AS 61/13 B; vgl. hierzu aber auch LSG Thüringen, Urteil v. 25.11.2015, L 4 AS 1010/13 unter Hinweis auf die Unterschiede der vorgenannten Ermächtigungsgrundlagen und zur Verletzung der Amtsermittlungspflicht durch die Behörde). Ebenso zwischen einer auf § 20 Abs. 1 Nr. 4 BAföG und einer auf § 50 Abs. 2 SGB X gestützten Entscheidung (VG Greifswald, Urteil v. 26.2.2013, 2 A 931/12). Ein zu Unrecht auf § 47 gestützter Bescheid über den Widerruf einer Sonographie-Genehmigung kann in einen Aufhebungsbescheid nach § 48 umgedeutet werden (BSG, Urteil v. 2.4.2014, B 6 KA 15/13 R). Keine Zielgleichheit liegt nach Auffassung des SG Kassel (Urteil v. 28.8.2013, S 7 AS 439/13) hingegen zwischen Absenkungs- und Änderungsbescheiden im Anschluss an eine Sanktion nach § 31 f SGB II vor. Ebenso wird die Umdeutung eines Bescheides nach ...