0 Rechtsentwicklung
Rz. 1
§ 74a wurde zum 1.1.2013 durch Art. 4 Abs. 15 des Gesetzes zur Reform der Sachaufklärung in der Zwangsvollstreckung v. 29.7.2009 (BGBl. I S. 2258) neu in das SGB X aufgenommen.
Zum 25.5.2018 wurde § 74a durch Art. 24 des Gesetzes zur Änderung des Bundesversorgungsgesetzes und anderer Vorschriften v. 17.7.2017 (BGBl. I S. 2541) an die Verordnung (EU) 2016/679 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 27.4.2016 zum Schutz natürlicher Personen bei der Verarbeitung personenbezogener Daten, zum freien Datenverkehr und zur Aufhebung der Richtlinie 95/46/EG – Datenschutz-Grundverordnung (DSGVO), ABl. L 119/1, redaktionell angepasst, insbesondere an die Begriffsbestimmungen des Art. 4 DSGVO.
1 Allgemeines
Rz. 2
§ 74alässt eine Übermittlung von Sozialdaten ohne Einwilligung der betroffenen Person zu, wenn es um die Durchsetzung offener Forderungen von mindestens 500,00 EUR geht.
Seit 25.5.2018 enthält weder Art. 4 Nr. 2 DSGVO noch § 67 eine Definition des Begriffs Übermittlung. Aus § 67d Abs. 1 ist jedoch zu entnehmen, welche Vorgänge der Verarbeitung Übermittlungen i. S. d. SGB X sind. Danach trägt die übermittelnde Stelle die Verantwortung für die Zulässigkeit "der Bekanntgabe von Sozialdaten durch ihre Weitergabe an einen Dritten oder durch Einsichtnahme oder den Abruf eines Dritten von zur Einsicht oder zum Abruf bereitgehaltenen Daten". Näheres zu den Begriffsbestimmungen nach Art. 4 DSGVO und § 67 kann der Komm. zu § 67 entnommen werden.
Rz. 3
Abs. 1lässt die Übermittlung von Sozialdaten zur Durchsetzung von öffentlich-rechtlichen Ansprüchen zu. Der Empfängerkreis der zu übermittelnden Sozialdaten ist hier nicht eingeschränkt; es kommt allein darauf an, dass öffentlich-rechtliche Ansprüche durchgesetzt werden sollen.
Abs. 2dagegen begrenzt sowohl den Empfängerkreis als auch den "Absenderkreis"; in dem er eine Übermittlung von Sozialdaten zur Durchführung eines Vollstreckungsverfahrens nur für die Träger der gesetzlichen Rentenversicherung und nur gegenüber Gerichtsvollziehern zulässt.
Mit § 74a Abs. 2 lässt der Gesetzgeber – wenn auch in streng begrenztem Umfang und nur durch die Träger der gesetzlichen Rentenversicherung – eine Datenübermittlung für die Durchsetzung privatrechtlicher Ansprüche zu und stellt diese den öffentlich-rechtlichen Ansprüchen gleich, soweit es um die Durchbrechung des Sozialgeheimnisses (§ 35 SGB I) geht. Ebenfalls neu ist die Durchbrechung der Kostenfreiheit der Verfahren der Stellen nach § 35 SGB I durch die Erweiterung des § 64 Abs. 1 um einen Satz 2, der für Auskünfte nach § 74a Abs. 2 Satz 1 eine Gebühr von 10,20 EUR vorsieht.
2 Rechtspraxis
2.1 Übermittlung zur Durchsetzung von öffentlich-rechtlichen Ansprüchen (Abs. 1)
Rz. 4
Abs. 1 lässt die Datenübermittlung nur zu, sofern es um die Durchsetzung öffentlich-rechtlicher Ansprüche von mindestens 500,00 EUR geht.
Öffentlich-rechtlich sind solche Ansprüche, die sich aus dem Verhältnis zwischen Bürger und Staat ergeben. Eine öffentlich-rechtliche Geldforderung muss ihre Rechtsgrundlage im öffentlichen Recht haben, z. B. Steuern, Beiträge, Gebühren, Gemeindeabgaben.
Privatrechtliche Forderungen öffentlicher Stellen, z. B. Miet- und Pachtschulden, lassen keine Übermittlung nach Abs. 1 zu.
2.1.1 Datenempfänger
Rz. 5
§ 74a Abs. 1 enthält – anders als Abs. 2 – keine benannten Adressaten, d. h. er begrenzt die Datenübermittlung nicht durch Aufzählung von Datenempfängern, sondern allein durch die Art der Forderung.
Im Ergebnis ist damit eine Übermittlung auch an beauftragte nicht-öffentliche Stellen zulässig, sofern es sich um die Durchsetzung öffentlich-rechtlicher Ansprüche von mindestens 500,00 EUR handelt (Rz. 3).
2.1.2 Übermittlungsumfang
Rz. 6
Der Umfang der zulässig zu übermittelnden Sozialdaten ist abschließend in Satz 1 aufgezählt. Es soll sich auch um nicht mehr als Grundinformationen für die ersuchende Stelle handeln. Übermittelt werden dürfen nur Name, Vorname, Geburtsdatum und -ort, derzeitige Anschrift der betroffenen Person, ihr derzeitiger oder zukünftiger Aufenthalt und Namen, Vornamen oder Firma und Anschriften ihrer derzeitigen Arbeitgeber.
Mit den Angaben zum derzeitigen und künftigen Aufenthaltder betroffenen Person wurde klargestellt, dass die in § 35 SGB I genannten Stellen die Herausgabe von Informationen über einen möglichen künftigen Aufenthaltsort eines Gesuchten vornehmen dürfen. Infrage kommen hier insbesondere Erkenntnisse über beabsichtigte Besuche bei den Leistungsträgern, z. B. in den Beratungsstellen oder geplante Rehabilitations- und Krankenhausaufenthalte.
Rz. 7
Von der Übermittlung ausgeschlossen sind Angaben zu Beschäftigungszeiträumen oder Hinweise auf einen Leistungsbezug oder eine Leistungshöhe. Das gilt ebenso für die so genannte Negativauskunft, also z. B. den Hinweis, dass die betroffene Person keine Rente bezieht.
2.1.3 Schutzwürdige Interessen der betroffenen Person
Rz. 8
Es dürfen keine schutzwürdigen Interessen der betroffenen Person durch die Datenübermittlung beeinträchtigt werden, d. h., es darf kein Grund zu einer solchen Annahme bestehen. Der Begriff der Interessen ist nicht im Gesetz definiert. Er kann sowohl ideelle als auch wirtschaftliche Güter umfassen. Die Interessen sind schutzwürdig, wenn sie a...