2.1 Feststellung des Rechtsverstoßes
Rz. 2
Ein Rechtsverstoß liegt immer dann vor, wenn eine rechtswidrige Handlung des Versicherungsträgers erfolgt ist oder eine rechtswidrige Handlung droht. Dies ergibt sich unstreitig für die Verletzung öffentlich-rechtlicher Normen, da dann immer ein besonderes öffentliches Interesse betroffen ist. Bei der Verletzung zivilrechtlicher Normen ist dies zu verneinen, wenn der Betroffene unmittelbaren Rechtsschutz gegenüber dem Versicherungsträger hat (so wohl auch BSG, Urteil v. 11.12.2003, B 8 KN 1/02 U R, BSGE 91 S. 269). Die Pflichtwidrigkeit eines Versicherungsträgers kann in einem Handeln oder Unterlassen bestehen. Ein Unterlassen beinhaltet aber nur dann einen Rechtsverstoß, wenn das Handeln rechtlich geboten war.
Zunächst muss sich die Aufsicht um eine restlose Aufklärung des Sachverhalts bemühen, denn sie kann nur nachgewiesene Rechtsverstöße zum Gegenstand von Aufsichtsmaßnahmen machen. Dies kann sich auch im Einzelfall aus dem Vorbringen des Beschwerdeführers ergeben.
2.2 Vertretbarkeit
Rz. 3
Stimmt die Aufsichtsbehörde mit der Rechtsanwendung des Versicherungsträgers nicht überein, hält sie aber dessen Auffassung für vertretbar, so wird sie keine Aufsichtsmaßnahmen ergreifen, weil die Rechtsverletzung zweifelsfrei festgestellt werden muss. Das schließt aber nicht aus, dass sie dem Versicherungsträger ihre Vorstellung mitteilt, damit dieser Gelegenheit erhält, sie bei seiner Entscheidung zu berücksichtigen.
2.3 Opportunität
Rz. 4
Stellt die Aufsichtsbehörde einen Rechtsverstoß fest, so hat sie nach Abs. 1 Satz 2 zu entscheiden, ob sie einschreitet (Entschließungsermessen). Damit ist klargestellt, dass das Opportunitätsprinzip gilt, d. h. es besteht grundsätzlich keine Verpflichtung, tätig zu werden. Die Aufsichtsbehörde würde aber rechtswidrig handeln, wenn sie ihr Entschließungsermessen nicht ausüben würde. Das Ermessen kann sich auf Null reduzieren, so dass eine Verpflichtung zum Einschreiten besteht. Das ist namentlich dann der Fall, wenn das öffentliche Interesse ein Einschreiten erfordert. So kann die Aufsichtsbehörde bei einem schweren Verstoß gegen die Rechtsordnung sowie bei drohenden oder eingetretenen erheblichen finanziellen Schäden für die Versichertengemeinschaft nicht untätig bleiben.
2.4 Prävention
Rz. 5
Die Tätigkeit der Aufsicht ist nicht auf die Behebung bereits vollzogener Rechtsverstöße (Repression) beschränkt. Sie kann vielmehr bereits dann einschreiten, wenn ein Rechtsverstoß droht (Prävention). Das ergibt sich daraus, dass sich die Aufsicht auf die Beachtung von Gesetz und sonstigem Recht erstreckt (§ 87 Abs. 1). Drohenden Rechtsverstößen kann auch mit einem Verpflichtungsbescheid vorgebeugt werden, falls hierdurch der Grundsatz der Verhältnismäßigkeit des Mittels nicht verletzt wird. Bei einem vorbeugenden Verpflichtungsbescheid ist im Hinblick auf eine mögliche Zwangsvollstreckung auf die Formulierung des Tenors besonders bedeutsam.
2.5 Mittel zur Behebung der Rechtsverletzung
2.5.1 Beratung
Rz. 6
Stellt die Aufsichtsbehörde einen drohenden oder bereits eingetretenen Rechtsverstoß fest und hat sie sich zum Einschreiten entschlossen, so gilt Abs. 1 Satz 1. Die Beratung ist Ausdruck des Bemühens um partnerschaftliche Kooperation zwischen Selbstverwaltung und Aufsicht (BSG, Urteil v. 11.12.2003, B 1 A 1/02 R, SozR 4-2400 § 89 Nr. 29). Sie stellt keinen belastenden Verwaltungsakt dar und ist deshalb nicht mit der Anfechtungsklage angreifbar.
Die Aufsichtsbehörde ist also gehalten, stufenweise vorzugehen und den Grundsatz der Verhältnismäßigkeit zu beachten.
Die Sollvorschrift lässt jedoch Ausnahmen zu. So kann die Aufsichtsbehörde ohne Beratung einen Verpflichtungsbescheid erlassen, wenn das öffentliche Interesse die sofortige Beseitigung des rechtswidrigen Zustandes erfordert. Auf die Beratung kann aber auch dann verzichtet werden, wenn die Umstände des Einzelfalles erkennen lassen, dass die Beratung fruchtlos bleiben wird. Das ist z. B. dann der Fall, wenn der Versicherungsträger zu erkennen gegeben hat, dass er auf keinen Fall freiwillig den Vorstellungen der Aufsicht entsprechen wird.
Der Versicherungsträger, der Zweifel an der Rechtmäßigkeit seines Handelns oder Unterlassens hat, sollte die Aufsichtsbehörde frühzeitig unterrichten, damit sie beratend tätig werden kann.
Zwischen Beratung und Verpflichtungsbescheid muss eine angemessene Frist liegen, in der der Versicherungsträger Gelegenheit hat, die Rechtsverletzung freiwillig zu beheben. Es handelt sich dabei nicht um eine Frist, die die Aufsichtsbehörde setzt. Allerdings ist es zweckmäßig, wenn sie dem Versicherungsträger ihre zeitlichen Vorstellungen mitteilt.
Welche Frist angemessen ist, richtet sich nach den Umständen des Einzelfalls. Im Regelfall sind 30 Tage angemessen. Bei schweren Rechtsverstößen wird die Frist kürzer als bei leichten Verstößen und bei drohenden großen finanziellen Schäden kürzer als bei bereits eingetretenen kleinen Schäden sein. Eine Frist ist jedenfalls dann nicht angemessen, wenn es dem Versicherungsträger während des Laufs der Frist trotz Anspannung seiner Kräfte objektiv nicht möglich ist, den rechtmäßigen Zusta...