Rz. 95
Soweit das Merkmal – im Wesentlichen für einen Auftraggeber tätig – rechtlich beurteilt wird, sind die Vertragsbeziehungen des Betroffenen maßgebend. Die Auslegung des Merkmals "nur für einen Auftraggeber" in diesem Sinne orientiert sich dabei am Schutzzweck der Norm, der eine möglichst umfassenden Schutz dieser arbeitnehmerähnlichen selbstständigen Tätigkeiten sicherstellen soll.
Rz. 96
Deshalb ist ein Selbstständiger selbst dann nur für "einen Auftraggeber" tätig, wenn verbundene Unternehmen, zu denen er vertragliche Beziehungen unterhält, einen Konzern i. S. d. § 18 AktG bilden (BSG, Urteil v. 9.11.2011, B 12 R 1/10 R). Deshalb ist ein selbstständiger Versicherungsvermittler selbst dann für einen Auftraggeber rechtlich tätig, wenn der Versicherungsvermittler Vertragsbeziehungen sowohl zur Vertriebsgesellschaft als auch zur Versicherungsgesellschaft unterhält (LSG Baden-Württemberg, Urteil v. 30.7.2020, L 7 R 2030/19, Rz. 55, unter ausdrücklicher Bezugnahme auf BSG, Urteil v. 9.11.2011, B 12 R 1/10 R). Auch selbstständig tätige geschäftsführende Gesellschafter einer juristischen Person können nach § 2 Satz 1 Nr. 9 versicherungspflichtig sein. Darüber hinaus gilt, dass bei geschäftsführenden Gesellschaftern von Gesellschaften, insbesondere Kapitalgesellschaften, die als selbstständig Tätige gelten (z. B. Alleingesellschafter bzw. Mehrheitsgesellschafter), für die Beurteilung etwaiger Versicherungspflicht nach § 2 Satz 1 Nr. 9 darauf abzustellen ist, ob die Gesellschaft i. S. v. § 2 Satz 1 Nr. 9b nur einen Auftraggeber hat. Abzustellen ist daher insbesondere bei selbstständig tätigen Gesellschafter-Geschäftsführern von Kapitalgesellschaften – dem Sinn und Zweck der Versicherungspflichtregelung folgend – auf die (Außen-)Verhältnisse der Gesellschaft, nicht etwa auf das Innenverhältnis zwischen dem Gesellschafter und der Gesellschaft. Im Ergebnis bedeutet dies, dass als Auftraggeber des Gesellschafters nicht die Gesellschaft selbst gelten kann, sondern nur die Auftraggeber, für die die Gesellschaft im Außenverhältnis tätig wird. Bei Gesellschaftern gelten daher nach Nr. 9, lit. b, 2. HS. als Auftraggeber die Auftraggeber der Gesellschaft. Diese Klarstellung erfolgt vor dem Hintergrund einer insoweit abweichenden Entscheidung des BSG v. 24.11.2005 (B 12 RA 1/04 R) zur Versicherungspflicht eines "Alleingesellschafter-Geschäftsführers" einer GmbH durch das Haushaltsbegleitgesetz 2006 vom 29.6.2006 (BGBl. I S. 1402) (HBeglG 2006)(vgl. auch: BT-Drs. 16/1525 S. 28).
Rz. 96a
Besondere Bedeutung erlangt die Tätigkeit für einen Arbeitgeber im Recht der Franchisenehmer. Das BSG hat hierzu entschieden, dass bei selbstständig tätigen Franchisenehmern, die in einer vertikalen Vertriebskette stehen, einziger Auftraggeber i. S. d. § 2 Satz 1 Nr. 9 Buchst. b der Franchisegeber ist (BSG, Urteil v. 4.11.2009, B 12 R 3/08 R). Die Ermittlung des Auftraggebers und deren Anzahl, für die der Selbstständige nach § 2 Nr. 9 tätig ist, bestimmt sich dabei allein aus § 2 Nr. 9. Werden daher nebeneinander eine selbstständige Tätigkeit und eine abhängige Beschäftigung ausgeübt, so ist der Arbeitgeber der Beschäftigung nicht i. S. d. § 2 Satz 1 Nr. 9 (weiterer) Auftraggeber (BSG, Urteil v. 4.11.2009, B 12 R 7/08 R). Die soziale Schutzbedürftigkeit eines Ein-Mann-Franchise-Nehmers besteht unabhängig davon, ob dieser Waren oder Dienstleistungen anbietet (LSG Nordrhein-Westfalen, Urteil v. 9.2.2022, L 3 R 662/21; im Anschluss an: LSG Schleswig, Urteil v. 5.12.2011, L 1 R 59/11; das LSG hat die Revision zugelassen: BSG, B 12 R 5/22 R, das BSG hat bisher noch nicht entschieden (Stand: August 2023) und mit Anm. von Flohr, ZAP 2023, 183).
Rz. 96b
Bei Solo-Gesellschaftern gilt der Gesellschafter-Geschäftsführer einer Ein-Personen-Gesellschaft (Unternehmergesellschaft nach § 5a GmbHG, GmbH, Limited) bei Erfüllung der von der Gesellschaft eingegangenen Verpflichtung als deren Erfüllungsgehilfe. Dessen Tätigkeit kann daher auf den Status i. S. d. § 7 Abs. 1 SGB IV hin – beschäftigt oder selbstständig tätig – untersucht werden. Das BSG hat die Rechtsprechung des BGH (BGH, Urteil v. 16.10.2003, IX ZR 55/02) zur Unterscheidung der beteiligten Rechtssubjekte und deren unterschiedliche Zuordnung zu den einzelnen Gegenständen schon früh übernommen. Das Sozialrecht folgt dem und entnimmt nicht etwa ausnahmsweise dem Zusammentreffen mehrerer Funktionen in ein und derselben natürlichen Person eine gleichzeitige "Verschmelzung" von natürlicher und juristischer Person (BSG, Urteil v. 24.11.2005, B 12 RA 1/04 R Rz. 22). Nach der im Sozialversicherungsrecht herrschenden Eingliederungstheorie genügt daher grundsätzlich die tatsächliche Eingliederung in eine fremde Arbeitsorganisation. Allein dies kann zur Versicherungspflicht eines Alleingesellschaftergeschäftsführers einer Ein-Personen-Gesellschaft führen, ohne dass direkte vertragliche Beziehungen zwischen dem Gesellschafter-Geschäftsführer und dem Auftraggeber bestehen müssen (BSG, Urteile v. 20.7.2023, B 12 ...