2.3.1 Mindestentgeltpunkte (Satz 1 und Satz 3)
Rz. 18
§ 256a Abs. 4 ist lex specialis und verdrängt die Bewertung von in den alten Bundesländern zurückgelegter Wehr- oder Zivildienstes nach § 256 Abs. 3. Die Bewertung von im Beitrittsgebiet zurückgelegten Zeiten des Wehrdienstes mit 1,0 Entgeltpunkten gemäß § 256 Abs. 3 Satz 1 Alt. 2 kommt daher nicht in Betracht. Bei der Ableistung eines Wehrdienstes im Beitrittsgebiet richtet sich die Bewertung der Wehrdienstzeiten ausschließlich nach der insoweit spezialgesetzlichen Regelung des § 256a Abs. 4.
Rz. 18a
Der sachliche Anwendungsbereich von Satz 1 ist beschränkt auf Zeiten von geleistetem Wehr- oder Zivildienst. Satz 1 ist nach seinem eindeutigen Wortlaut nicht auf Zeiten beim Bundesgrenzschutz anwendbar. Solche Zeiten mit geleistetem Grenzschutzdienst können auch nicht anderweitig nach § 256 Abs. 3 Satz 1 HS bewertet werden (zutreffend Hess. LSG, Urteil v. 27.2.2023, L 5 R 303/20, Rz. 31).
Rz. 18b
Pflichtbeiträge der Wehr- und Zivildienstleistenden (vgl. § 3 Nr. 2, § 166 Abs. 1 Nr. 1) erhalten für jedes volle Kalenderjahr
- ab 1.4.1957 (frühester Zeitpunkt für Wehrdienstleistende = Wehrsoldgesetz v. 30.3.1957, BGBl. I S. 308) bzw. ab 14.1.1960 (frühester Zeitpunkt für Zivildienstleistende lt. Gesetz über den zivilen Ersatzdienst v. 13.1.1960; erste Einberufungen erfolgten jedoch erst im Januar 1961 = Gesetz über den zivilen Ersatzdienst v. 13.1.1960, BGBl. I S. 10) bis 30.4.1961 mindestens 0,75 Entgeltpunkte (75 % des Durchschnittsentgelts aller Versicherten). Pflichtbeiträge sind nach dem Wehrsold und den Sachbezügen gezahlt und in die Versicherungsunterlagen eingetragen worden (Satz 3). Die Anhebung auf Mindestentgeltpunkte muss beantragt werden. Sie wird auch von Amts wegen vorgenommen, wenn für den Rentenversicherungsträger erkennbar ist, dass es sich um Pflichtbeiträge eines Wehr- oder Zivildienstleistenden handelt;
- in der Zeit vom 1.5.1961 bis 31.12.1981 1,0 Entgeltpunkte (Satz 1 HS 2) und
- in der Zeit vom 1.1.1982 bis 31.12.1991 0,75 Entgeltpunkte (Satz 1 HS 1).
Rz. 19
Umfassen Pflichtbeiträge weniger als ein Kalenderjahr, werden für jeden Teilzeitraum Entgeltpunkte anteilmäßig berücksichtigt; mit 1/12 für volle Kalendermonate, aber auch abweichend von § 122 Abs. 1 mit 1/360 (analog zu § 123 Abs. 3) für jeden Kalendertag eines angebrochenen Kalendermonats.
Wehrdienst wurde vom 1.1.1981 bis zum 13.1.1983 geleistet. Entgeltpunkte sind zu berücksichtigen:
für 2 Monate (1.11.1981 bis 31.12.1982): 2/12 von 1,0000 = |
0,1666 |
für 1 Kalenderjahr (1.1.1982 bis 31.12.1982): = |
0,7500 |
für 13 Tage (1.1. bis 13.1983): 13/360 von 0,7500 = |
0,0271 |
2.3.2 Anwendungsausschluss (Satz 2)
Rz. 20
Nach § 256 Abs. 3 Satz 2 gilt Satz 1 nicht für Zeiten vom 1.1.1990 bis 31.12.1991, wenn die Pflichtbeiträge bei einer Verdienstausfallentschädigung aus dem Arbeitsentgelt berechnet worden sind. Insoweit kommen Mindestentgeltpunkte nicht in Betracht; Entgeltpunkte richten sich dann nach dem Arbeitsentgelt.
2.3.3 Entgeltpunkte ab 1992
Rz. 21
Für Entgeltpunkte ab 1992 gilt § 70 Abs. 1, unabhängig davon, ob es sich um Dienstzeiten in den alten oder neuen Bundesländern handelt; zum Wehrdienst vor 1992 im Beitrittsgebiet vgl. § 256a Abs. 4.
2.3.4 Verfassungsrechtliche Implikationen
Rz. 21a
Die unterschiedliche Bewertung der Wehrdienstzeiten – also solcher Zeiten die im Beitrittsgebiet geleisteten wurden und sich nach § 256a Abs. 4 richten und solcher Zeiten, die in den alten Bundesländern zurückgelegt wurden und nach Abs. 3 zu bewerten sind – beruht nach der Begründung des Gesetzgebers zu § 256a Abs. 4 darauf, dass im alten Bundesgebiet im Zeitraum von 1961 bis 1981 tatsächlich Beiträge für die zurückgelegten Wehrdienstzeiten entrichtet wurden, im Beitrittsgebiet jedoch nicht. Die von § 256 Abs. 3 Satz 1 abweichende Bewertung der Wehrdienstzeiten im Beitrittsgebiet in § 256a Abs. 4 ist verfassungsrechtlich daher nicht zu beanstanden und verstößt nicht gegen das Grundgesetz, insbesondere nicht gegen Art. 3 Abs. 1 GG und/oder gegen Art. 14 Abs. 1 GG (Sächs. LSG, Urteile v. 12.4.2022, L 4 R 453/20 und L 4 R 157/21; LSG Sachsen-Anhalt, Beschluss v. 20.1.2022, L 3 R 208/21; vgl. weitergehend auch Komm. zu § 256a Rz. 86).
Die von § 256 Abs. 3 Satz 1 abweichende Bewertung der Wehrdienstzeiten im Beitrittsgebiet in § 256a Abs. 4 mit 0,75 Entgeltpunkten (Ost) gegenüber 1,0 Entgeltpunkten verstößt nicht gegen das GG, vornehmlich nicht gegen Art. 3 Abs. 1 GG. Insoweit ist auf die Gesetzesbegründung zum RÜG zu § 256a Abs. 4 zu verweisen, wonach eine Übertragung von im alten Bundesgebiet aufgrund tatsächlicher Beitragszahlung bestehenden unterschiedlichen Werten auf das Beitrittsgebiet mangels entsprechender Regelungen nicht angezeigt gewesen ist. Im Beitrittsgebiet unterlag der Wehrsold nicht der Beitragspflicht in der Sozialversicherung. Der Dienst stand lediglich rentenrechtlich einer versicherungspflichtigen Tätigkeit gleich. Damit hat der Gesetzgeber trotz gänzlich fehlender Rentenbeitragszahlung im Beitrittsgebiet gleichwohl überhaupt Entgeltpunkte für im Beitrittsgebiet zurückgelegte Wehrdienstzeiten berücksichtigt (LSG Sachsen-Anhalt, Urteil...