2.1 Gesetzliche Vermutung des Bestehens von Versicherungspflicht und Beitragszahlung
Rz. 3
§ 286c Satz 1 enthält für Zeiten bis zum 31.12.1991 im Beitrittsgebiet eine widerlegbare gesetzliche Vermutung, die es dem Rentenversicherungsträger erlaubt, bei in den Versicherungsunterlagen des Beitrittsgebiets ordnungsgemäß bescheinigten Arbeitszeiten oder Zeiten der selbständigen Tätigkeit ohne weitere konkrete Ermittlungen im Einzelfall davon auszugehen, dass während dieser Zeiten Versicherungspflicht bestanden hat und für das angegebene Arbeitsentgelt oder Arbeitseinkommen die Beiträge gezahlt worden sind. Der Rentenversicherungsträger berücksichtigt dann nachgewiesene Beitragszeiten, die gemäß § 248 Abs. 3 den Beitragszeiten nach Bundesrecht gleichstehen.
Rz. 4
Voraussetzung der Vermutung nach § 286c Satz 1 ist die ordnungsgemäße Bescheinigung von Arbeitszeiten und Zeiten der selbständigen Tätigkeit sowie von Arbeitsentgelten oder -einkommen in Versicherungsunterlagen des Beitrittsgebiets. Solche sind die, die die betreffenden relevanten Daten dokumentierten. Dies war von 1962 bis zum 31.12.1991 der Ausweis für Arbeit und Sozialversicherung (SVA) und zuvor das Arbeitsbuch und der (Sozial-)Versicherungs- bzw. Versichertenausweis (vgl. hierzu Hess. LSG, Urteil v. 11.10.2017, L 5 R 102/14; LSG Schleswig-Holstein, Urteil v. 24.3.2015, L 7 R 14/14). Der Lohnschuldner bestätigte in der letzten Spalte der entsprechenden Seite des Ausweises mit Stempel und Unterschrift die Richtigkeit der Eintragung. Für selbständig Tätige und deren mitarbeitende Familienangehörige erfolgten die Bescheinigungen des Beitragseinzugs ab dem 1.1.1951 durch den Rat des Kreises, Abteilung Finanzen, zuvor durch die Sozialversicherungskassen. Ab 1990 wurde diese Aufgabe teilweise durch die Rentenversicherungsträger übernommen (vgl. zur Entwicklung näher: Wilmerstadt, Das neue Rentenrecht in den alten und neuen Bundesländern, 1992, S. 167). Ohne eine solche Bescheinigung greift die Vermutung der Beitragszahlung nicht ein.
Rz. 5
Die Vermutungswirkung erstreckt sich auf die Versicherungspflicht im System der gesetzlichen Rentenversicherung im Beitrittsgebiet in den bescheinigten Zeiträumen und die Beitragszahlung für die eingetragenen Arbeitsentgelte bzw. -einkommen. Die Eintragungen im SVA beinhalten insoweit eine Vermutung der Richtigkeit und Vollständigkeit (LSG Sachsen-Anhalt, Urteil v. 27.1.2011, L 1 R 112/07). Die gesetzliche Vermutung wirkt nicht, wenn sich schon aus den Eintragungen in den Versicherungsunterlagen Anhaltspunkte gegen eine Versicherungspflicht bzw. Beitragszahlung ergeben. Dies ist z. B. der Fall bei Zeiten, für die Arbeitsausfalltage oder Zeiten der Arbeitsunfähigkeit bescheinigt wurden, die nicht zur Beitragspflicht führten, aber ggf. als Anrechnungszeiten zu berücksichtigen sind.
Rz. 6
Die gesetzliche Vermutung ist widerlegbar (§ 292 ZPO; BT-Drs. 12/404 S. 132). Widerlegt ist die Vermutung, wenn Tatsachen nachgewiesen werden, die der Versicherungspflicht oder der Beitragszahlung entgegenstehen. Zur Widerlegung ist der volle Beweis der Unrichtigkeit der Eintragungen in Bezug auf die Beschäftigungs- bzw. Tätigkeitszeiträume und/oder die Arbeitsverdienste zu erbringen. Die objektive Beweislast trägt der Rentenversicherungsträger. Verbleibende Zweifel gehen daher zu seinen Lasten (Hess. LSG, Urteil v. 22.8.2008, L 5 R 338/07 KN).
Rz. 7
Die Träger der Rentenversicherung sind wegen der Widerlegbarkeit der gesetzlichen Vermutung nicht an die Eintragungen in den Versicherungsunterlagen des Beitrittsgebietes gebunden und zu Ermittlungen von Amts wegen gemäß § 20 SGB X verpflichtet, wenn Tatsachen bekannt werden, die der Versicherungspflicht oder der Beitragszahlung entgegenstehen.
Rz. 8
Die Vermutung des § 286c ist nicht bereits dann widerlegt, wenn aus den Lohnbescheinigungen widersprüchliche Angaben hervorgehen. Hier kommt den Eintragungen im SVA ein höherer Beweiswert zu als Lohnbescheinigungen (LSG Baden-Württemberg, Urteil v. 23.02.2016, L 9 R 2237/15).
2.2 Vermutungsausschluss
Rz. 9
§ 286c Satz 2 regelt einen Fall des Vermutungsausschlusses. Die Vermutung nach Satz 1 gilt nicht für Zeiten, in denen eine Rente aus der Rentenversicherung oder eine Versorgung aus einem Zusatz- oder Sonderversorgungssystem bezogen wurde, die nach den bis zum 31.12.1991 im Beitrittsgebiet geltenden Vorschriften zur Versicherungs- oder Beitragsfreiheit führte. Dies waren sog. Vollrenten wie z. B. Altersrenten, Bergmannsaltersrenten, Invaliden- und Bergmannsinvalidenrenten. Während des Bezugs einer sog. Vollrente waren die Rentenbezieher von der Entrichtung ihres Beitragsanteils befreit, wenn sie neben dem Rentenbezug eine Beschäftigung ausübten. Nur der Arbeitgeber hatte in diesen Fällen seinen Beitragsanteil zu leisten. Nicht zur Versicherungs- und Beitragsfreiheit führten jedoch die Bergmannsvollrenten, da die Bezieher dieser Rentenleistung nicht von der Entrichtung ihres Beitragsanteils befreit waren.
Rz. 10
Wegen der zum 1.7.2002 in Kraft getretenen Änderung der Regelung des § 248 Abs. 3 Satz 2 Nr. 2, nach der Zeiten einer Beschäftigung oder selbständigen T...