0 Rechtsentwicklung
Rz. 1
Die Vorschrift ist durch das RRG 1992 v. 18.12.1989 (BGBl. I S. 2261) mit Wirkung zum 1.1.1992 eingeführt worden. Der jetzige Abs. 1 gilt seitdem unverändert. Durch das Gesetz zu sozialen Maßnahmen zur Bekämpfung der Coronapandemie v. 20.5.2020 (BGBl. I S. 1055) ist rückwirkend zum 1.1.2020 Abs. 2 angefügt worden.
1 Allgemeines
Rz. 2
§ 304 Abs. 1, der im Wesentlichen § 1267 RVO, § 44 AVG, Art. 2 § 41 ArVNG, Art. 2 § 40 AnVNG i. V. m. Art. 2 § 31 des Gesetzes Nr. 635 zur Einführung des RKG und des KnVNG im Saarland entspricht, stellt eine Sonderregelung zu § 48 dar. Er beinhaltet einen Besitzschutz für die im früheren Saarland begründeten Ansprüche auf Waisenrenten wegen Gebrechlichkeit, die ohne Altersbegrenzung gezahlt werden können, solange die Gebrechlichkeit anhält. Aufgrund des Zeitablaufs dürfte die Bedeutung der Norm heute nur noch gering sein. Denn der Anspruch auf eine unbegrenzte Waisenrente muss am 31.12.1956 bei einem mindestens 18-jährigen Menschen bestanden haben (vgl. auch BT-Drs. 11/4124 S. 207). Die jüngsten dieses Personenkreises sind also im Jahr 2022 84 Jahre alt.
2 Rechtspraxis
Rz. 3
§ 304 enthält für Waisenrenten wegen Gebrechlichkeit, die im Saarland aufgrund des dort vor 1957 geltenden Rechts unter bestimmten Voraussetzungen auch über das 25. Lebensjahr hinaus gewährt werden konnten, eine Besitzschutzregelung. Dadurch wird ermöglicht, dass eine Waisenrente, die nach § 48 Abs. 4 Nr. 2 Buchst. d nur bis zur Vollendung des 27. Lebensjahres gezahlt werden könnte (Verlängerungstatbestände gemäß § 48 Abs. 5 werden nicht vorliegen), über diesen Zeitpunkt hinaus gezahlt werden kann, wenn am 31.12.1991 ein entsprechender Anspruch bestanden hat. Der Rentenanspruch fällt jedoch weg, wenn sich der Gesundheitszustand in der Weise ändert, dass die Waisenrentenberechtigten ihren Unterhalt selbst (wieder) bestreiten können. Die Waisenrenten unterliegen der Anpassung (BSG, Urteil v. 22.5.1975, 5 RKn 15/74).
Abs. 2 enthält eine ergänzende Regelung zu § 48 Abs. 4 Satz 1 Nr. 2 Buchst. a bis c. Er erweitert den Kreis der Anspruchsberechtigten (vgl. auch § 218g SGB VII).
Rz. 4
Bei § 304 handelt es sich um eine Ausnahmeregelung, die einer analogen Anwendung auf die Gewährung von Waisenrenten nach § 48 nicht zugänglich ist. Ausgeschlossen ist auch eine richterliche Rechtsfortbildung in dem Sinne, auf der Grundlage von § 304 einen zeitlich unbefristeten Bezug einer Waisenrente nach § 48 für behinderte Waisen zu begründen (BSG, Urteil v. 20.6.2002, 13 RJ 45/01 R).
Rz. 5
Die Tatbestandsvoraussetzungen in § 48 Abs. 4 Satz 1 Nr. 2 Buchst. a und c werden erweitert. Ein Waisenrentenanspruch besteht auch dann, wenn eine Schul- oder Berufsausbildung oder ein freiwilliger Dienst wegen der Coronapandemie nicht angetreten werden konnte. Dies ist jedoch nur dann der Fall, wenn in dieser Zeit eine epidemische Lage von nationaler Tragweite (25.3.2020 bis 25.11.2021) bestanden hat und der Nichtantritt in einem kausalen Zusammenhang damit stand. Eine Verlängerung über das 27. Lebensjahr erfolgt hingegen nicht.
§ 48 Abs. 4 Satz 1 Nr. 2 Buchst. b wird ebenfalls weiter gefasst. Der Zeitraum von 4 Kalendermonaten zwischen 2 Ausbildungsabschnitten verlängert sich, wenn die Übergangszeit ursächlich aufgrund der durch die Coronapandemie verursachte epidemischen Lage von nationaler Tragweite verlängert wurde.
In der Praxis hat die Regelung in Abs. 2 – anders als Abs. 1 – eine große Bedeutung, da aufgrund der Kontaktbeschränkungen zahlreiche zeitliche Verzögerungen aufgetreten sind.