Rz. 17
Satz 2 beinhaltet zunächst die Legaldefinition des Begriffs Ausgleichsbedarf und definiert diesen als die nach Satz 1 angeordnete unterbliebene Minderungswirkung. Der Ausgleichsbedarf firmiert auch unter dem Begriff Nachholfaktor.
Rz. 18
Außerdem beinhaltet Satz 2 auch die Rechtsfolge, was mit dem Ausgleichsbedarf künftig geschieht. Durch die Modifikation der Schutzklausel zum 1.3.2007 und deren Überführung von § 68 Abs. 6 a. F. in die eigenständige Vorschrift des § 68a fand in Satz 2 auf der Rechtsfolgeseite der Legaldefinition des Begriffs Ausgleichsbedarfs auch eine Verrechnungsklausel Eingang in das Gesetz. Danach wird die unterbliebene Minderungswirkung (Ausgleichsbedarf) mit Erhöhungen des aktuellen Rentenwerts verrechnet.
Rz. 18a
Der Nachholfaktor ist somit Ausgleich für die Rentengarantie, wie er in § 68a Abs. 1 Satz 1 niedergelegt ist und beschreibt die Verrechnung unterbliebener aktueller Rentenminderung mit künftigen Rentenerhöhungen. Bei einer durch die Rentengarantie verhinderte Senkung des Rentenwerts sorgt der Nachholfaktor daher dafür, dass die künftigen Rentenerhöhungen nach Lohnsteigerungen niedriger ausfallen, als sie es eigentlich müssten. Bei rückläufiger Lohnentwicklung, an die die Rentenanpassung gekoppelt ist (§ 68) bzw. im Zusammenspiel mit den anderen Faktoren des aktuellen Rentenwerts kann es zu seiner Verringerung kommen. § 68a Abs. 1 Satz 1 verhindert eine solche Verringerung des aktuellen Rentenwerts, die entweder allein durch rückläufige Lohnentwicklung oder auch trotz steigender Lohnsumme aufgrund der übrigen Faktoren ggf. eintreten kann; Rentengarantie (vgl. zu den Gesetzeserwägungen im Entwurf eines Gesetzes zur Sicherung der nachhaltigen Finanzierungsgrundlagen der gesetzlichen Rentenversicherung – RV-Nachhaltigkeitsgesetz BT-Drs. 15/2149 S. 23). Dabei legt § 68a Abs. 1 Satz 2 fest, dass die unterbliebene Minderungswirkung mit Erhöhungen des aktuellen Rentenwerts verrechnet wird. Nach § 68a Abs. 1 Satz 2 ist dieser Ausgleich legal definiert als Ausgleichsbedarf. Der so beschriebene Mechanismus des Auf- und Abbaus des Ausgleichsbedarfs ist der sog. Nachholfaktor (vgl. zum Ausgleichsbedarf auch Scharf, in: Haufe SGB Office Professional, HI2159497).
Rz. 19
Damit wirkt Satz 2 letztlich monetär minderungserhaltend. Sinn der Regelung ist es, dass an und für sich notwendige Minderungen des aktuellen Rentenwerts zumindest künftig in die Renten eingepreist werden. Unterbliebene Rentenminderungen sollen durch die Verrechnung mit späteren Rentenerhöhungen nachgeholt werden (so auch die allgemeinen Erwägungen des Gesetzgebers zur Wiedereinführung des Nachholfaktors, vgl. BT-Drs. 20/1680 S. 2 = BR-Drs. 170/22 S. 2). Dies dient letztlich der Generationengerechtigkeit, sichert den Generationenvertrag in der Rente und schützt die aktuellen Beitragszahler. Der Nachholfaktor entlastet damit die beitragszahlenden Versicherten, die nicht durch eine über Gebühr ausfallende Rentensteigerung zugunsten der Rentenbezieher benachteiligt werden sollten. Letztlich dient damit der Nachholfaktor einem stabilen Beitragssatz. Der Gesetzgeber rechnet durch die vorzeitige Wiedereinführung des Nachholfaktors (§ 255g i. d. F. des Rentenanpassungs- und Erwerbsminderungsrenten-Bestandsverbesserungsgesetzes v. 28.6.2022, BGBl. I S. 975, mit Wirkung zum 1.7.2022 mit bis zu 0,2 Prozentpunkten niedrigeren Beitragssätzen bis 2026 (BT-Drs. 20/1680 S. 4 = BR-Drs. 170/22 S. 3). Weitergehender Sinn der Regelung ist daher insbesondere der Schutz der Finanzierbarkeit des Rentensystems und damit auch der Schutz der Beitragszahler im Sinne der Generationengerechtigkeit.
Rz. 19a
Der Ausgleichsbedarf/Nachholfaktor wurde durch das Gesetz über Leistungsverbesserungen und Stabilisierung in der gesetzlichen Rentenversicherung RV-Leistungsverbesserungs- und -Stabilisierungsgesetz (RV-Leistungsverbesserungs- und -Stabilisierungsgesetz) v. 28.11.2018 (BGBl. I S. 2016) mit Wirkung zum 1.1.2019 bis zur Rentenanpassung Ost/West im Jahr 2025 ausgesetzt. Hierzu hatte der Gesetzgeber im Rahmen der Übergangsvorschrift des § 255g den Ausgleichsbedarf ausgesetzt. § 255g (in seiner noch bis 30.6.2022 gültigen Fassung) sah vor, dass der Ausgleichsbedarf in der Zeit bis zum 30.6.2026 1,0000 betrug und eine Berechnung des Ausgleichsbedarfs nach § 68a in dieser Zeit nicht erfolgen sollte (vgl. Komm. zu § 255g).
Rz. 19b
In Folge der COVID-19-Pandemie sind die Löhne im Jahr 2020 gesunken. Es ergab sich eine rechnerische Minusanpassung bei der Rentenanpassung in 2021. Aufgrund der Rentengarantie sind daher Lohnentwicklung und Rentenanpassung im Jahr 2021 auseinandergefallen. Das Grundprinzip der dynamischen Rente, die mit der Rentenreform von 1957 eingeführt wurde, sieht die Kopplung der Entwicklung der Renten an die Lohnentwicklung vor. Im Interesse der Generationengerechtigkeit hat der Gesetzgeber ein Anliegen aus dem Koalitionsvertrag 2021 der Ampelkoalition umgesetzt (vgl. Koalitionsvertrag 2021, 73); der Nachholfaktor sollte in der Rentenber...