2.1 Voraussetzungen der Erfüllungsfiktion
Rz. 3
Die Fiktion der Erfüllung setzt einen Erstattungsanspruch der Leistungsträger untereinander voraus. Erfasst werden in erster Linie Erstattungsansprüche nach
- § 102 – des vorläufig leistenden Leistungsträgers,
- § 103 – des Leistungsträgers, dessen Leistungsverpflichtung nachträglich entfallen ist,
- § 104 – des nachrangig verpflichteten Leistungsträgers,
- § 105 – des unzuständigen Leistungsträgers.
Darüber hinaus werden auch Erstattungsansprüche zwischen Leistungsträgern nach Sondervorschriften der SGB I bis XII von der Erfüllungsfiktion des § 107 erfasst.
Nach der gesetzlichen Bestimmung wird gefordert, dass ein Erstattungsanspruch besteht. Der zuständige Leistungsträger darf nicht in Unkenntnis der Leistung des anderen Leistungsträgers bereits mit befreiender Wirkung an den Berechtigten gezahlt haben. Ein Erstattungsanspruch kann dann nicht mehr entstehen.
Besteht ein Erstattungsanspruch, tritt die Erfüllungsfiktion unabhängig davon ein, ob er vom erstattungsberechtigten Träger auch geltend gemacht oder vom erstattungsverpflichteten Träger erfüllt wird.
Die Erfüllungsfiktion des Erstattungsanspruchs bleibt daher auch dann bestehen, wenn der Erstattungsanspruch
- nach § 110 pauschal bzw. wegen Geringfügigkeit nicht abgegolten wird,
- nach ungenutztem Ablauf der Ausschlussfrist des § 111 ausgeschlossen ist oder
- nach § 113 verjährt ist.
Wird ein Erstattungsanspruch nach § 112 rückgängig gemacht, ist dadurch auch die zunächst erfolgte Erfüllungsfiktion aufgehoben. Der Betrag der Rückerstattung steht daher dem Berechtigten zu.
Die Wirkung der Erfüllungsfiktion tritt nicht ein, wenn der Erstattungsanspruch aufgrund der Rangfolgeregelung nach § 106 nicht erfüllt wird.
Rz. 3a
Der Anspruch nach § 102 entsteht in dem Zeitpunkt, in dem dem Berechtigten die vorläufige Leistung tatsächlich zugewendet wird. Nach § 103 entsteht der Anspruch mit Bekanntgabe des leistungsgewährenden Bescheides des erstattungspflichtigen Leistungsträgers an den Leistungsberechtigten, sofern dieser die Leistung tatsächlich erhalten hat, und die Ansprüche nach §§ 104 und 105 entstehen mit der tatsächlichen Zuwendung der Leistung an den Leistungsberechtigten.
Bei wiederkehrenden Leistungen entsteht für jeden Zeitraum, für den die Leistung erbracht worden ist, ein neuer Erstattungsanspruch.
2.2 Wirkung der Erfüllungsfiktion
Rz. 4
Die Erfüllungsfiktion bewirkt, dass die Leistung des einen Leistungsträgers als Leistung des anderen gilt. Der an sich zur Leistung an den Leistungsberechtigten verpflichtete Träger wird hierdurch von seiner Leistungspflicht gegenüber dem Leistungsberechtigten befreit.
Der Erstattungsanspruch nach §§ 102ff. bezweckt den Vermögensausgleich zwischen den beteiligten Leistungsträgern und nicht den Vermögensausgleich zwischen dem Leistungsträger, der die Leistung bereits erbracht hat, und dem Leistungsberechtigten. Damit steht dem erstattungsberechtigten Träger kein Wahlrecht zu, während des Erstattungszeitraums entweder einen Erstattungsanspruch nach §§ 102ff. geltend zu machen oder stattdessen Erstattung vom Berechtigten nach § 50 zu verlangen (BSG, Urteile v. 29.4.1997, 8 RKn 29/95, und v. 30.6.1997, 8 RKn 35/95). § 107 Abs. 1 bewirkt, dass der Leistungsberechtigte die empfangene Leistung, soweit ein Erstattungsanspruch besteht, auch behalten darf.
2.3 Umfang der Erfüllungsfiktion
Rz. 5
Die Erfüllungsfiktion des § 107 gilt nur, "soweit ein Erstattungsanspruch" besteht. Daraus ergibt sich, dass die Erfüllungsfiktion nur in Höhe des Erstattungsanspruchs in Betracht kommt. Dies entspricht dem Zweck der Erstattungsansprüche nach §§ 102ff., den beim leistungsverpflichteten Träger verbliebenen Vermögenswert auszugleichen.
Übersteigt der Leistungsanspruch des Rentenberechtigten den Erstattungsanspruch des erstattungsberechtigten Trägers, bleibt der erstattungspflichtige Träger zur Leistung an den Berechtigten verpflichtet.
Rentenzahlung vom 1.9.2011 bis 30.11.2011 monatlich |
900,00 EUR |
Erstattungsanspruch des Versorgungsamtes nach § 104 |
|
vom 1.9.2011 bis 30.11.2011 monatlich |
420,00 EUR |
verbleibende Nachzahlung monatlich |
480,00 EUR |
Lösung:
Der Rentenanspruch des Berechtigten gegenüber dem Rentenversicherungsträger gilt für die Monate September bis November 2011 in Höhe von jeweils 420,00 EUR als erfüllt. Der restliche Anspruch in Höhe von 480,00 EUR monatlich steht dem Berechtigten noch zu.
Rz. 5a
Die Erfüllungsfiktion gilt nicht nur gegenüber dem Leistungsberechtigten, sondern auch gegenüber Dritten, die aufgrund besonderer Vorschriften (z. B. §§ 48, 51 bis 54 SGB I) die Sozialleistung des Berechtigten in Anspruch nehmen können. Zum Nachteil des vorleistenden Trägers kann der Leistungsberechtigte gegenüber dem letztendlich verpflichteten Träger nicht mehr über den bestehenden Anspruch verfügen (z. B. durch Abtretung nach § 53 SGB I).
2.3.1 Erfüllungsfiktion in Fällen des § 93 SGB VI
Rz. 5b
Das BSG hat mit Urteil v. 29.4.1997 (8 RKn 29/95) entschieden, dass in Fällen, in denen zu einer bereits gewährten Rente aus der gesetzlichen Rentenversicherung nachträglich eine Rente aus der gesetzlichen Unfallversicherung hinzutritt, die Erfüllungsfiktion ...