Rz. 7
Soweit der Arbeitgeber seiner Verpflichtung zur Zahlung von Arbeitsentgelt nicht nachkommt, geht der Anspruch des Arbeitnehmers gegen den Arbeitgeber nach § 115 kraft Gesetzes insoweit auf den Leistungsträger über, als dieser Sozialleistungen erbracht hat. Der Anspruchsübergang ist demnach von 3 Voraussetzungen abhängig:
- Bestehen eines fälligen Entgeltanspruchs des Arbeitnehmers, den der Arbeitgeber nicht erfüllt,
- Bezug von Sozialleistungen durch den Arbeitnehmer und
- Kausalität zwischen Nichterfüllung und Leistungsbezug
(Schlaeger/Bruno, in: Hauck/Noftz, SGB X, Stand: 08/2016, § 115 Rz. 8 ff.).
2.2.1 Fälliger Entgeltanspruch des Arbeitnehmers, den der Arbeitgeber nicht erfüllt
Rz. 8
Von § 115 erfasst wird nur der fällige Anspruch auf Arbeitsentgelt i. S. v. § 14 SGB IV, auf den ein Rechtsanspruch besteht. Unbeachtlich ist, ob sich der Anspruch des Arbeitnehmers aus einer arbeits-, tarifvertraglichen oder gesetzlichen Regelung ergibt. Es dürfen keine Einwendungen gegen den Arbeitsentgeltanspruch bestehen. Ausreichend ist, wenn sich der Arbeitgeber im Leistungsverzug befindet; eine endgültige Leistungsverweigerung ist nicht erforderlich (Bieresborn, in: v. Wulffen/Schütze, SGB X, 8. Aufl. 2014, § 115 Rz. 3). Bei der Zahlung einer sittenwidrig niedrigen Vergütung (LAG Mecklenburg-Vorpommern, Urteil v. 17.4.2012, 5 Sa 194/11), Verstößen gegen das Mindestlohngesetz (MiLoG) und equal-pay-Ansprüchen von Leiharbeitnehmern (§ 8 AÜG) findet § 115 ebenfalls Anwendung (Schlaeger/Bruno, in: Hauck/Noftz, SGB X, Stand: 08/16, § 115 Rz. 23). Zum Arbeitsentgelt i. S. v. § 14 SGB IV zählen auch einmalige Leistungen wie Urlaubsgeld, Weihnachtsgeld sowie ein vereinbarter Urlaubsabgeltungsanspruch (BAG, Urteil v. 14.3.2006, 9 AZR 312/05; SG Lüneburg, Urteil v. 3.11.2009, S 7 AL 226/08). Wie einmalige Leistungen zu beurteilen sind, regelt sich nach dem Arbeitsvertrag, so dass auch ggf. der gesamte Auszahlungsbetrag zum Arbeitsentgelt gerechnet werden kann und damit von § 115 erfasst wird. Eine zwischen dem Arbeitnehmer und dem Arbeitgeber im Rahmen der Beendigung des Arbeitsverhältnisses vereinbarte Abfindung geht nur dann nach § 115 über, wenn sie Arbeitsentgeltcharakter hat und nicht lediglich eine Entschädigung für den Verlust des Arbeitsplatzes darstellt (LSG Hessen, Urteil v. 14.3.2014, L 9 AS 90/11). § 115 Abs. 3 regelt den Fall, dass ein Arbeitgeber seinen Leistungsverpflichtungen, die in Sachbezügen bestehen, nicht nachgekommen ist. Da Sachbezüge ebenso wie Geldleistungen Arbeitsentgelt i. S. v. § 14 SGB IV sind, jedoch ein solcher Forderungsübergang nicht sinnvoll ist, tritt an seine Stelle der Anspruch auf Geld. Die Höhe bestimmt sich nach der auf Grundlage des § 17 Abs. 1 Satz 1 Nr. 3 SGB IV erlassenen Sozialversicherungsentgeltverordnung.
2.2.2 Bezug von Sozialleistungen durch den Arbeitnehmer
Rz. 9
Der Arbeitnehmer muss Sozialleistungen bezogen haben. Entscheidend ist die tatsächliche Auszahlung. Die Leistungserbringung muss rechtmäßig sein. Eine rechtswidrige Leistungserbringung führt nicht zu einer Legalzession. Der Sozialleistungsträger ist bei einer rechtswidrigen Leistungserbringung auf Erstattungsansprüche (z. B. nach § 50 SGB X) gegenüber dem Arbeitnehmer zu verweisen (Schlaeger/Bruno, in: Hauck/Noftz, SGB X, Stand: 08/2016, § 115 Rz. 30). Bei einer nachträglichen Aufhebung der Leistungsbewilligung (§ 48 SGB X) sind deren Rechtsfolgen für die Legalzession umstritten: Einerseits wird vertreten, in diesem Fall dem Arbeitnehmer einen Rückübertragungsanspruch hinsichtlich des übergegangenen Anspruchs zuzubilligen (LAG Düsseldorf, Urteil v. 2.5.2016, 9 Sa 29/16, Revision am BAG unter 5 AZR 385/16 anhängig). Nach einer anderen Ansicht fällt der übergegangene Anspruch automatisch an den Arbeitgeber zurück (Peters-Lange, in: Schlegel/Voelzke, jurisPK-SGB X, 2. Aufl. 2017, Stand: 1.12.2017, § 115 Rz. 21).
Rz. 10
Nachfolgende Sozialleistungen können einen Anspruchsübergang gemäß § 115 bewirken:
2.2.3 Kausalität
Rz. 11
Im Weiteren muss eine Kausalität zwischen der Nichtzahlung des Arbeitsentgelts und der Sozialleistung bestehen. Bereits dem Wortlaut ("und deshalb") wie auch der Gesetzesbegründung (BT-Drs. 9/95 S. 27) ist zu entnehmen, dass ein Zusammenhang zwischen Entgeltnichtleistung und der Gewährung der Sozialleistung bestehen muss. Es muss eine zeitliche und sachliche Deckungsgleichheit zwischen dem nicht erfüllten Anspruch auf Arbeitsentgelt und der Erbringung von Sozialleistungen vorliegen. Dabei muss die rechtswidrige Entgeltnichtleistung wesentliche Bedingung für die Sozialleistungsgewährung sein.