2.1 Verhältnis zu §§ 40, 41
Rz. 6
Die Vorschrift findet keine Anwendung auf VA, die schon nach § 40 nichtig sind. Da ein nichtiger VA keine Wirkung hat, kann er letztlich nicht aufgehoben werden, sondern allenfalls kann, ungeachtet sonstiger vermeintlicher Form- und Verfahrensfehler, dessen Nichtigkeit durch die Verwaltung oder ein Gericht festgestellt werden (vgl. § 40 Abs. 5, § 55 Abs. 1 Nr. 4 SGG, § 43 Abs. 1 VwGO). Ein absoluter Fehler, der nicht nach § 42 unbeachtlich sein kann, ist die unterlassene Beteiligung sozial erfahrener Dritter i. S. d. § 116 Abs. 2 SGB XII (LSG Niedersachsen-Bremen, Urteil v. 26.6.2014, L 8 SO 291/13).
Rz. 7
Während § 41 nur bestimmte enumerativ aufgezählte Form- oder Verfahrensfehler als heilbar erfasst, ist § 42 auch auf andere Mängel, die Verfahren, Form oder Zuständigkeit betreffen, anwendbar. Ist ein Fehler allerdings schon nach § 41 wirksam geheilt, besteht für die Anwendung des § 42 kein Raum mehr. Ist dagegen eine Heilung nach § 41 nicht oder nicht wirksam erfolgt oder nachgeholt worden, kann der Mangel gleichwohl noch nach § 42 unbeachtlich sein. Insoweit bestätigt die Vorschrift einen Vorrang der materiellen Rechtslage vor dem formellen Recht. Nicht anwendbar ist § 42 auf die Berichtigung nach § 38. Keine Verfahrensfehler i. S. d. § 42 stellen auch Verstöße gegen behördeninterne Richtlinien und Kompetenz- und Zuständigkeitszuweisungen dar. Es muss vielmehr ein wesentlicher Verfahrensfehler vorliegen. Für die Anwendung des § 42 besteht weiterhin keine Notwendigkeit, wenn durch den Verfahrensfehler lediglich öffentliche Interessen, nicht aber solche des Antragstellers berührt werden.
2.2 Unbeachtliche Verfahrensmängel (Satz 1)
Rz. 8
Bei den Form- und Verfahrensvorschriften, die zur Anwendung des § 42 führen, sind die in § 40 Abs. 3, § 41 Abs. 1 genannten Mängel mit Ausnahme des Anhörungsmangels (Satz 2) beachtlich. Grundsätzlich sind jedoch über diese Vorschriften hinaus auch andere Verstöße gegen Vorschriften für das Verwaltungsverfahren (§§ 8ff.) als Verfahrensmängel zu beachten. Diese beziehen sich jedoch zumeist auch auf die Voraussetzungen für die materielle Rechtmäßigkeit des VA (z. B. die Amtsermittlung nach § 20, die Beweismittel nach §§ 21 ff., Wiedereinsetzung oder Antragstellung nach §§ 27, 28), so dass sie nicht nur als Verfahrensvorschriften anzusehen sind. Im Klageverfahren sind sie zumeist als Vor- oder Zwischenfragen der materiell richtigen Entscheidung von Bedeutung. Insbesondere eine zuvor unzureichende Sachverhaltsermittlung muss das Gericht nach dem Amtsermittlungsgrundsatz des § 103 SGG nachholen, schon um die rechtliche Möglichkeit einer anderen Sachentscheidung oder den Einfluss auf den VA prüfen zu können. Auch diese Fehler sind daher nach § 42 regelmäßig unbeachtlich (vgl. BSG, Urteil v. 17.12.1997, 11 RAr 61/97 = BSGE 81 S. 259 zur Unbeachtlichkeit unzureichender Sachaufklärung, wenn in der Sache keine andere Entscheidung möglich ist). Das Nichtbeidrücken eines Dienstsiegels auf der Ausfertigung eines Widerspruchsbescheides ist ein Zustellungsmangel, der nach § 42 unbeachtlich ist (VG Darmstadt, Urteil v. 28.4.2010, 5 K 951/08.DA).
Rz. 8a
Die Folgen einer fehlerhaften oder fehlenden Rechtsbehelfsbelehrung sind ausschließlich in § 66 Abs. 2 SGG und § 58 VwGO geregelt, § 42 ist hierauf nicht anwendbar.
Rz. 9
Weil die örtliche Zuständigkeit in § 42 ausdrücklich erwähnt wird, kann der Umkehrschluss gezogen werden, dass die nicht erwähnte sachliche oder funktionelle Zuständigkeit ohne weiteres beachtlich ist (BSG, Urteil v. 20.7.2010, B 2 U 19/09 R; VG München, Urteil v. 13.7.2006, M 15 K 04.1679; LSG Nordrhein-Westfalen, Urteil v. 16.12.2009, L 10 SB 39/09). Hat eine Widerspruchsbehörde daher "erstinstanzlich" über einen erst im Widerspruchsbegehren erstmals gestellten Antrag auf eine Sozialleistung anstelle der Ausgangsbehörde entschieden, handelt die Widerspruchsbehörde sowohl sachlich als auch funktionell unzuständig. Dieser Verfahrensfehler ist beachtlich und begründet einen Aufhebungsanspruch (BSG, Urteil v. 18.10.2005, B 4 RA 21/05 R m. w. N.; ebenso BSG, Urteil v. 20.7.2010, B 2 U 19/09 R). Gerade im Sozialversicherungsrecht hat die sachliche Zuständigkeit zumeist auch Bedeutung für die örtliche Zuständigkeit. Einer sachlich unzuständigen Behörde fehlt die Kompetenz (Befugnis) zum Erlass eines VA außerhalb ihres Aufgabenbereichs für den konkreten Sachverhalt oder beteiligte Personen, so dass der VA schon deswegen aufzuheben ist. Dies gilt selbst dann, wenn in dem Verfahren der zuständige Träger beigeladen ist (vgl. BSG, Urteil v. 22.3.2001, B 12 P 3/00 R, SozR 3-2600 § 3 Nr. 5 zur Frage der RV-Pflicht von Pflegepersonen). Ansonsten begründet der Verstoß gegen örtliche Zuständigkeiten zumeist deswegen keinen Verfahrensmangel, weil auch die an sich örtlich zuständige Behörde aller Wahrscheinlichkeit nach auf der Grundlage gleicher gesetzlicher Vorschriften die gleiche Entscheidung getroffen hätte. Zu dem fehlerhaft besetzten Rentenausschuss einer Berufsgenossenschaft vgl. SG Hamburg, Urteil v. 8.5.2014, S 36 U 37/12; ge...