Rz. 10
In Anpassung an die früheren entsprechenden Änderungen im VwVfG durch das GenBeschlG v. 12.9.1996, BGBl. I S. 1354 (so BT-Drs. 14/4375 S. 58, 59), begründen durch die Neufassung des § 42 seit 1.1.2001 Verfahrensfehler dann keinen Anspruch auf Aufhebung des VA, wenn diese Fehler offensichtlich die Entscheidung in der Sache nicht beeinflusst haben. Gegenüber dem früheren Recht, das ohne Kausalitätsprüfung die Aufhebung wegen Verfahrensfehlern bei sog. Alternativlosigkeit der Entscheidung ausschloss, wird nunmehr auf die fehlende Kausalität des Verfahrensmangels für die letztlich getroffene Entscheidung abgestellt. Insbesondere sollte damit die Anwendung der Vorschrift auf Beurteilungs- und Ermessensentscheidungen ausgedehnt werden (so BT-Drs. 13/3995 S. 8), denn auf solche VA war § 42 a. F. nur anwendbar, wenn der Ermessensspielraum auf null reduziert war. Soweit die Auffassung in der Literatur vertreten wird, § 42 n. F. sei auch weiterhin nicht auf Ermessensentscheidungen anzuwenden, ist dies mit den Gesetzgebungsmaterialien nicht vereinbar (wie hier für eine Anwendung des § 42 auch auf Ermessensentscheidungen: VG Meiningen, Urteil v. 23.10.2008, 8 K 479/06 Me, Rz. 14). Häufig wird es jedoch bei Ermessensentscheidungen an der erforderlichen Alternativlosigkeit fehlen (vgl. Rz. 12 ff.). Nach Auffassung des SG Aachen gilt dies generell für Entscheidungen pluralistisch zusammengesetzter Gremien (Urteil v. 4.4.2014, S 6 U 155/11).
Rz. 11
Wie § 41 ist auch § 42 grundsätzlich auf alle Arten von VA anzuwenden. Ihre wesentliche Bedeutung hat die Vorschrift jedoch in den Fällen eines belastenden VA (insbesondere Beitrags-, Aufhebungs- und Entziehungsbescheide), weil die verfahrensrechtliche Rechtswidrigkeit grundsätzlich einen Anspruch auf Aufhebung des VA begründet, wenn der Fehler nicht nach § 42 unbeachtlich ist.
2.3.1 Alternativlosigkeit
Rz. 12
Die Verstöße gegen Form- und Verfahrensvorschriften sind nach wie vor dann unbeachtlich, wenn in der Sache keine andere Entscheidung hätte getroffen werden dürfen (Alternativlosigkeit). Besteht materiell-rechtlich zu der getroffenen Entscheidung keine rechtlich zulässige Alternative, kann ein Form- oder Verfahrensfehler als zumindest im Rechtssinn nicht ursächlich für die Entscheidung angesehen werden. Eine Einschränkung des Anwendungsbereiches von § 42 war mit der gesetzlichen Neufassung nicht beabsichtigt. Soweit nach der bisherigen Rechtsprechung bereits eine Unbeachtlichkeit von Verfahrensfehlern vorlag, kann hierauf auch weiterhin zurückgegriffen werden. Stützt sich die Behörde für die Rückforderung von Unterhaltsvorschussleistungen auf § 5 Abs. 2 UVG als Ermächtigungsnorm, ist dies nach § 42 unbeachtlich, wenn sich der Bescheid auf § 5 Abs. 1 Nr. 1 UVG stützen lässt (VG Frankfurt, Urteil v. 23.3.2010, 3 K 3959/09.F).
Das Unterlassen eines VA wird von der Vorschrift weiterhin nicht erfasst.
Rz. 13
Eine Alternativlosigkeit besteht jedenfalls bei gebundenen Entscheidungen und in den Fällen einer Ermessensreduzierung auf null. Damit korrespondiert diese Regelung mit den kraft Gesetzes entstehenden und bestehenden Ansprüchen (§ 40 SGB I, § 22 Abs. 1, § 76 Abs. 1 SGB IV) i. V. m. den jeweiligen Anspruchsnormen und auch mit § 46 bei belastenden VA. In solchen Fällen ist offensichtlich, dass nicht der Fehler im Verfahren oder die Form für den Erlass und Inhalt des VA ursächlich war, sondern die materiell-rechtliche Verpflichtung, gerade diesen VA zu erlassen.
Rz. 14
Ist eine Entscheidung aufgrund einer Vorschrift getroffen worden, die unbestimmte Rechtsbegriffe enthält, ist eine andere Entscheidungsmöglichkeit richtigerweise nicht gegeben, und es kann letztlich nur als materielle Anspruchsvoraussetzung geprüft werden, ob der unbestimmte Rechtsbegriff richtig ausgelegt und deshalb die Entscheidung in der Sache materiell-rechtlich richtig war.
Rz. 15
Für die Frage einer rechtlich zulässigen anderen Entscheidung sind alle tatsächlichen Feststellungen heranzuziehen, auch wenn diese bei Erlass des VA nicht bekannt waren bzw. in der Begründung dem VA nicht zugrunde gelegt worden waren. Auch neue Tatsachen sind berücksichtigungsfähig, soweit sie auf den Zeitpunkt der Wirksamkeit des VA zurückwirken. Entscheidend ist für Widerspruchsverfahren und Anfechtungsklage die materielle Rechtslage bei Erlass des VA bzw. der darin genannte Zeitpunkt der Wirksamkeit der Regelung.
2.3.2 Offensichtlich fehlende Kausalität
Rz. 16
Über die Fälle der Alternativlosigkeit hinaus kann ein Aufhebungsanspruch nunmehr auch dann ausgeschlossen sein, wenn es der Behörde grundsätzlich rechtlich möglich gewesen wäre, eine andere Entscheidung zu treffen. Solche Entscheidungsalternativen bestehen bei den der Behörde eingeräumten Beurteilungsspielräumen – insbesondere bei Entscheidungen aufgrund prognostischer Beurteilung – und bei Ermessensentscheidungen sowohl für Entschließungs-/Handlungs- als auch inhaltliches Entscheidungsermessen für oder gegen eine Leistungsgewährung und/oder deren Umfang. Grundsätzlich kann die Alternative für die Behörde auch darin bestehen, keinen VA z...