Rz. 30
Mit der Regelung des § 44 Abs. 3 hat der Gesetzgeber unmittelbar an den Wortlaut der bei Inkrafttreten des SGB X bereits bestehenden Vorschrift des § 48 Abs. 5 VwVfG angeknüpft (vgl. dazu den Gesetzentwurf der Bundesregierung v. 4.8.1978, BT-Drs. 8/2034 S. 34 zu § 42: "Absatz 3 entspricht § 45 Abs. 5 VwVfG"; vgl. auch OVG Nordrhein-Westfalen, Urteil v. 22.1.1998, 8 A 940/96 = NWVBl 1998 S. 356 mit ausführlicher Darstellung der Entstehungsgeschichte des § 44 Abs. 3). Zur Begründung ist den Gesetzesmaterialien zu entnehmen, dass der Gesetzgeber die Regelung als "notwendig zur Klarstellung der Zuständigkeiten nach Unanfechtbarkeit eines VA" angesehen hat (BT-Drs. 7/910 v. 18.7.1973, Anlage 2, Nr. 19b).
Rz. 30a
Die Vorschrift stellt im HS 2 des § 44 Abs. 3 klar, dass über den Antrag die zuständige Behörde auch dann zu entscheiden hat, wenn der VA, dessen Aufhebung begehrt wird, von einer anderen Behörde erlassen wurde (OVG Nordrhein-Westfalen, a. a. O.). Diese scheinbar so klare Regelung hat ihre Tücken, die sich insbesondere bei einem Zuständigkeitswechsel zeigen, der in der Zeit zwischen Erlass des bindend gewordenen VA und dem Zeitpunkt der Aufhebungsentscheidung eingetreten ist.
Rz. 30b
Der Wortlaut der Bestimmung scheint zunächst darauf hinzudeuten, dass für die Überprüfung und Rücknahme nach § 44 bei einem unanfechtbaren VA immer die Behörde zuständig sein soll, die zur Zeit der Überprüfung sachlich und örtlich für die Entscheidung über den zugrunde liegenden VA zuständig ist und zwar auch dann, wenn sich die Zuständigkeit zwischenzeitlich geändert hat (vgl. BSG, Urteil v. 9.6.1999, B 6 KA 70/98 R = SozR 3-2500 § 95 Nr. 20). Dies ist jedoch nicht unproblematisch, wenn der überprüfenden Behörde die örtliche und sachliche bzw. zeitbezogene Zuständigkeit (z. B. Krankenkassen oder Rentenversicherungsträger) zum Erlass eines Neuregelungsbescheides für die Vergangenheit fehlt. Mit der Aufhebung würde dann in die Kompetenz eines anderen Trägers eingegriffen und dieser müsste zu einer Neubescheidung verpflichtet sein, was jedoch nicht vorgesehen ist. So z. B. in Fällen der abweichenden Entscheidung des Rentenversicherungsträgers von Entscheidungen der Einzugsstelle über Versicherungspflichten bei Betriebsprüfungen nach § 28p SGB IV oder von früheren Entscheidungen abweichende Statusentscheidungen der BfA im Anfrageverfahren nach § 7a SGB IV. Weitere Probleme treten bei einer nur am nur scheinbar eindeutigen Wortlaut des § 44 Abs. 3 orientierten Auslegung auf bei Entscheidungen über Leistungen nach dem AsylbLG, so z. B. wenn durch Änderung des tatsächlichen Aufenthaltes des Leistungsbeziehers nach Beendigung des Asylverfahrens die Zuständigkeit der zunächst sachlich und örtlich zuständigen Behörde entfallen ist. Gerade hier ist der Anwendungsbereich des § 44 aufgrund des Verweises in § 9 Abs. 3 AsylbLG besonders groß, wie unzählige Verfahren nach § 44 SGB X, § 2 AsylbLG in der Praxis zeigen. Ähnliche Probleme ergeben sich aber auch bei Verfahren nach dem SGB XII (Sozialhilfe), wenn der Empfänger der Sozialhilfe in den örtlichen Zuständigkeitsbereich eines anderen Sozialhilfeträgers zieht (vgl. hierzu OVG Nordrhein-Westfalen, Urteil v. 22.1.1998, 8 A 940/96, NWVBl. 1998 S. 356). Da es an hinreichenden gesetzlichen Bestimmungen über Erstattungsansprüche zwischen den Leistungsträgern in derartigen Konstellationen fehlt, würde eine nur am Wortlaut des § 44 Abs. 3 orientierte Auslegung dazu führen, dass die nunmehr örtlich und sachlich zuständige Behörde bzw. ihr Rechtsträger die zum Teil hohen Kosten für die Rückabwicklung nach § 44 zu tragen hätte. Dies würde den Rechtsträger begünstigen, der die begehrte Sozialleistung in der Vergangenheit rechtswidrig versagt hat.
Rz. 30c
Der Anwendungsbereich des § 44 Abs. 3 HS 2 ist daher auf die Fälle zu beschränken, in denen der bindend gewordene VA von einer Behörde erlassen wurde, die für den Erlass dieses VA überhaupt nicht zuständig gewesen ist, also anstelle der an sich zuständigen Behörde entschieden hat oder aus sonstigen Gründen eine andere Behörde als die ursprünglich handelnde unter objektiven Gesichtspunkten wesentlich "sachnäher" ist. Dies ist regelmäßig nicht der Fall, wenn im Recht der Sozialhilfe und des AsylbLG durch Umzug des Antragstellers nunmehr für aktuelle Ansprüche eine andere Behörde zuständig geworden ist. Hier verbleibt es vielmehr bei der Zuständigkeit derjenigen Behörde, die den bindend gewordenen VA erlassen hat, denn sie ist weiterhin sachnäher (so auch SG Detmold, Urteil v. 24.6.2010, S 6 AY 68/09; Schneider, in: GK-AsylbLG § 9 Anm. 73.3 f.; im Ergebnis ebenso SG Duisburg, Urteil v. 8.10.2013, S 44 AY 24/10).
Dieses Ergebnis ergibt sich auch aus folgenden Überlegungen (vgl. hierzu OVG Nordrhein-Westfalen, Urteil v. 22.1.1998, 8 A 940/96, NWVBl. 1998 S. 356):
Vor Inkrafttreten des § 48 Abs. 5 VwVfG, dem § 44 Abs. 3 SGB X nachgebildet ist, war es geltendes Recht, dass die Zuständigkeit für die Beseitigung eines VA vorbehaltlich einer besonderen ge...