Rz. 2
Die Regelung gehört zu den Vorschriften, die auch für den Fall der bereits eingetretenen Unanfechtbarkeit nach § 39 Abs. 2 die Durchbrechung der Bestandskraft wirksam erlassener Verwaltungsakte (VA) ermöglichen. Ausgehend von dem Grundsatz, dass die Rücknahme eines bestandskräftigen VA mit Wirkung für die Zukunft oder die Vergangenheit erfolgen darf, wird die im Einzelfall zulässige Rücknahme von einer Interessenabwägung zwischen Vertrauensschutz in einen begünstigenden VA und dem öffentlichen Interesse an der Rücknehmbarkeit rechtswidriger VA abhängig gemacht.
§ 45 ist eine Vorschrift, die in der Verwaltungs- und Gerichtspraxis eine sehr große Bedeutung hat. Zahlreiche Fehler unterlaufen in der Verwaltungspraxis hinsichtlich der Abgrenzung zu § 48. Dabei wird nicht hinreichend beachtet, dass § 45 nur für solche VA gilt, die schon von Anfang an rechtswidrig waren, während dagegen § 48 die Fälle betrifft, bei denen der abzuändernde VA zum Zeitpunkt seines Erlasses noch rechtmäßig war und die Bewilligung der Leistung erst später durch den Eintritt einer wesentlichen Änderung rechtswidrig geworden ist (Ausnahme aber z. B., wenn die Behörde bei Erlass des VA irrtümlich einen falschen Sachverhalt zugrunde legte, auch dann kann § 48 anwendbar sein [vgl. Komm. zu § 48 Rz. 13]). Im Einzelfall kann die Abgrenzung zwischen § 45 und § 48 sehr schwierig sein (vgl. auch Kommentierung unten Rz. 3b; instruktiv zu einem schwierigen Abgrenzungsfall: BSG, Urteil v. 29.5.2008, B 11a/7a AL 74/06 R mit Anm. Schaer, jurisPR-SozR 3/2009 Rz. 1). Wird mit der Rücknahme der Bewilligung von Arbeitslosenhilfe wegen von Anfang an fehlender Bedürftigkeit auch dem Anspruch für einen nachfolgenden Zeitraum die Grundlage des Vorbezugs entzogen, so ist der ursprüngliche VA auch hinsichtlich des späteren Zeitraums von Anfang an rechtswidrig i. S. d. § 45 Abs. 1 und nicht etwa erst später durch eine wesentliche Änderung rechtswidrig geworden i. S. d. § 48 (Schaer, a. a. O.).
Rz. 2a
Häufig fällt erst im Widerspruchsverfahren auf, dass der Ausgangsbescheid auf die falsche Rechtsgrundlage gestützt wurde. Werden bei einer gebundenen Entscheidung die Ermächtigungsgrundlagen § 45 und § 48 nur im Rahmen der Begründung des Bescheides ausgetauscht, ohne dass sich dies auf den Verfügungssatz auswirkt, dann kann es sich um das bloße Nachschieben von Gründen handeln (eingehend hierzu für das Recht der Arbeitsförderung BSG, Urteil v. 29.6.2000, B 11 AL 85/99 R), was bis zur Grenze der Wesensveränderung des VA zulässig ist (vgl. Komm. zu § 41).
Eine solche Wesensveränderung wird noch nicht angenommen, wenn ein zunächst auf § 48 gestützter VA später dann auf § 45 gestützt wird, obwohl bei § 45 eine Verschuldensprüfung zu erfolgen hat (BSG, a. a. O., str.), so dass es in diesen Fällen nicht einmal der Umdeutung bedarf.
Hat der Austausch der Ermächtigungsgrundlage aber Auswirkungen auf den Verfügungssatz, stellt sich die Frage, ob der VA nach § 43 umgedeutet werden kann, ein bloßer Austausch der Rechtsgrundlagen im Sinne einer Begründungsänderung oder eines Nachschiebens von Gründen ist dann nicht mehr ausreichend. Das ist z. B. dann der Fall, wenn § 48 im Verfügungssatz des VA ausdrücklich als Ermächtigungsgrundlage benannt ist. Hier würde eine geänderte Rechtsgrundlage den VA in seinem Wesensgehalt ändern, so dass die Voraussetzungen des § 43 vorliegen müssen, wenn die Behörde den VA nunmehr auf § 45 stützen will. Eine unzulässige Wesensänderung eines VA liegt auch bei Austausch des Lebensachverhaltes vor, denn dies erschwert die Rechtsverteidigung. Ein solcher Austausch des Lebenssachverhaltes liegt nicht vor, wenn das Jobcenter nach Durchführung von Ermittlungen die Aufhebung einer Leistungsbewilligung nach dem SGB II nicht mehr auf § 36 SGB II stützt, sondern nunmehr auf die fehlende Hilfsbedürftigkeit (LSG Baden-Württemberg, Urteil v. 7.3.2016, L 1 AS 296/15). Eine Umdeutung nach § 43 ist also hier nicht erforderlich.
Ein Aufhebungsbescheid nach § 48 kann nicht in einen Bescheid nach § 45 umgedeutet werden, wenn Letzterer eine Ermessensausübung erfordert (BSG, Urteil v. 12.4.1984, 7 RAr 34/83). Ist das Ermessen bei § 45 jedoch ausgeschlossen (z. B. spezialgesetzlich durch § 330 SGB III, § 40 SGB II) oder das Ermessen wegen der besonderen Umstände des Einzelfalles auf null reduziert, wird eine Umdeutung möglich sein (vgl. Komm. zu § 43).
Rz. 2b
Besondere Probleme stellen sich auch bei der Aufhebung von Bewilligungsbescheiden nach dem SGB II im Hinblick auf die Konstruktion der Bedarfsgemeinschaft i. S. d. § 7 SGB II. Denn gemäß § 33 SGB X (Bestimmtheitsgrundsatz) muss ein VA inhaltlich hinreichend bestimmt sein. Nimmt ein belastender VA nach § 45 auf mehrere Personen Bezug, so muss deutlich werden, wem gegenüber die Bewilligung in welcher Höhe aufgehoben bzw. zurückgenommen wird (insoweit Spiegelbild des Bewilligungsbescheides, was aber nicht im umfassenden Sinne auch für die Differenzierung zwischen Kosten der Unterkunft und Regelleistungen gilt: BSG, Urtei...