Rz. 28

Bei Zweckverfehlung oder Nichterfüllung einer Auflage ist der Widerruf für die Vergangenheit als Ermessensentscheidung zu treffen (Bay. LSG, Urteil v. 21.1.2010, L 9 AL 45/07). Das Ermessen bezieht sich auf das "Ob", den Umfang "soweit" und den Zeitpunkt des Widerrufes (Waschull, in: LPK-SGB X, § 47 Rz. 24). Indem Satz 2 diesen Widerruf für die Vergangenheit bei Vertrauensschutz ausschließt, ist das Ermessen im Sinne der Rücknahme für die Vergangenheit gebunden, wenn Vertrauensschutz nicht gegeben ist und auch sonst keine Tatsachen vorliegen, die einer Abwägung zugänglich sind (so wohl auch LSG Nordrhein-Westfalen, Urteil v. 22.7.2004, L 9 AL 229/02). Die zweckwidrige Verwendung öffentlicher Mittel, insbesondere aus Beiträgen der Versicherten, widerspricht der gesetzlich zugelassenen Mittelverwendung (§ 30 SGB IV) ebenso, wie der als Folge der nicht rückwirkenden Aufhebung eintretende Verzicht der Rückforderungsansprüche dem Gebot der vollständigen Einnahmeerhebung widerspräche (§ 76 SGB IV). Vertrauensschutz besteht bei zweckgebundenen Leistungen gerade nicht hinsichtlich des Verbrauchs der Mittel zur persönlichen Verwendung oder privater Vermögensdispositionen. Ist aber ein auszuübendes Ermessen unterblieben, liegt ein Ermessensnichtgebrauch vor (zu den Folgen vgl. BSG, Urteil v. 30.10.1997, 4 RA 71/96). Im Zweifel wird die Verwaltung daher gut beraten sein, eine Ermessensausübung vorzunehmen, die insbesondere auch die Frage ausdrücklich behandelt, ob Gründe vorlagen, von einem Widerruf abzusehen (Frage des "Ob", vgl. hierzu Sächs. LSG, Urteil v. 7.12.2006, L 3 AL 118/05, im Zusammenhang mit der Gewährung einer ABM an einen Maßnahmeträger). Stand der Verwaltung bei der Entscheidung über die Bewilligung der Begünstigung im Ursprungs-VA Ermessen zu, muss regelmäßig auch bei einem VA nach § 47 im Rahmen der Entscheidung über das "Ob" des Widerrufes Ermessen ausgeübt werden, und zwar auch dann, wenn der Betroffene eine Mitteilungspflicht verletzt hat (Sächs. LSG, a. a. O.).

Ein Widerrufsvorbehalt in einem Bescheid über die Gewährung von Elterngeld berechtigt die Behörde nicht dazu, den Widerruf auch mit Wirkung für die Vergangenheit vorzunehmen, weil das Elterngeld nicht als zweckbestimmte Geld- oder Sachleistung anzusehen ist (BSG, Urteil v. 21.2.2013, B 10 EG 12/12 R). Bei der Ausübung des Ermessens nach § 47 Abs. 2 darf die Behörde mündliche Zusagen, die sie zuvor gegenüber dem Betroffenen gemacht hatte, nicht unberücksichtigt lassen (BSG, Urteil v. 17.3.2016, B 4 AS 18/15 R).

 

Rz. 28a

Im Rahmen der Ermessensausübung hat die Verwaltung nach dem Grundsatz der Verhältnismäßigkeit der Mittel unter Umständen auch zu prüfen, ob die Vollstreckung aus einer Auflage nicht einen minder schweren Eingriff bedeutet hätte. Sofern die Auflage noch erfüllbar ist, kann es ermessensfehlerhaft sein, wenn die Behörde dem Betroffenen hierzu keine Gelegenheit gibt (Sächs. LSG, Beschluss v. 18.5.2009, L 2 AS 181/09 B ER zur Aufhebung einer ABM-Bewilligung und Zuweisung von ABM-Arbeitnehmern unter Hinweis auf Schütze, in: v. Wulffen, SGB X, § 47 Rz. 9).

 

Rz. 28b

Der Hinweis darauf, dass trotz Einräumung mehrmaliger Fristverlängerung die Auflagen nicht erfüllt worden seien und der Hilfeempfänger einen Widerruf bewusst in Kauf genommen hat, wird dann als gerade noch ausreichend angesehen werden können, wenn keine weiteren Gesichtspunkte erkennbar sind, die eine Interessenabwägung anreichern könnten (vgl. VG Bayreuth, Urteil v. 23.5.2005, B 3 K 02.685, allerdings mit ergänzendem Hinweis auf weitere Ermessensbegründungen durch die Beklagte im Gerichtsverfahren).

Hat sich der Adressat bereits im Verwaltungsverfahren nicht auf Anhörungsschreiben der Beklagten gemeldet, kann die Darstellung im Bescheid genügen, dass der Betroffene keine Angaben gemacht habe, die es ermöglichen würden, von dem Widerruf abzusehen und dass eine günstigere Entscheidung mit Rücksicht auf alle der Behörde bekannten Umstände des Einzelfalles nicht möglich sei (LSG Nordrhein-Westfalen, Urteil v. 24.6.2004, L 9 AL 20/04). Wenn der Leistungsträger den bösgläubigen Betroffenen danach gefragt hat, was aus seiner Sicht gegen den beabsichtigten Widerruf spricht, kann der Verwaltung nicht der Vorwurf mangelnder Begründung der Ermessensentscheidung gemacht werden, wenn der Betroffene nichts weiter vorträgt, als sich keiner Schuld bewusst zu sein (Bay. LSG, Beschluss v. 13.8.2009, L 8 AL 189/07). Die Verwaltung ist nicht gehalten, bei Abwesenheit naheliegender Abwägungsgesichtspunkte geradezu krampfhaft nach weiteren aufzuführenden Umständen zu suchen. Die Ermessensbetätigung verlangt auch nicht die Verwendung von Leerformeln, wenn keine Umstände vorliegen, die dem Leistungsträger Handlungsalternativen offenstehen lassen, wie dies etwa bei Vorliegen von Bösgläubigkeit des Betroffenen der Fall sein kann (Bay. LSG, a. a. O.).

Wegen des Erfordernisses der Ermessensausübung kann ein gebundener Bescheid nach § 50 Abs. 2 nicht in einen Bescheid nach § 47 Abs. 2 umgedeutet wo...

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