Rz. 2
Die Regelung entspricht § 50 VwVfG. Sie hat den Zweck, einen begünstigenden rechtswidrigen Verwaltungsakt (VA) mit belastender Drittwirkung dann nicht den Einschränkungen und Vertrauensschutzregelungen für Rücknahme oder Widerruf zu unterstellen, wenn ein Dritter diesen als ihn belastend durch Widerspruch oder Klage – im Ergebnis erfolgreich – anficht. Der Aufhebung der Belastung des Dritten wird daher Vorrang vor dem Vertrauen in die Begünstigung eingeräumt. Hierdurch wird auch vermieden, dass die Verwaltung dem formell durch Bescheid Begünstigten wegen Vertrauensschutzes und dem Dritten wegen des bestehenden materiellen Anspruchs verpflichtet bliebe und damit doppelte Leistungen zu erbringen hätte. Die Vorschrift des § 49 bewirkt, dass der durch den VA Begünstigte nicht auf den Bestand des VA vertrauen kann, solange ein Rechtsbehelfsverfahren anhängig ist (BSG, Urteil v. 25.2.2010, B 13 R 147/08 R).
§ 49 ist nicht Ermächtigungsgrundlage für das Handeln der Behörde. Diese Vorschrift enthält keine eigenständige Ermächtigungsgrundlage und verdrängt entgegen ihrem Wortlaut auch nicht die §§ 45ff. (str., wie hier BSG, Urteil v. 25.2.2010, B 13 R 147/08 R, Rz. 61; Merten, in: Hauck-Noftz, SGB X, § 49 Rz. 4). Vielmehr beschränkt sich der Regelungsbereich des § 49 darauf, die in den §§ 45ff. enthaltenen Einschränkungen (insbesondere Vertrauensschutz- und Fristvorschriften gemäß § 45 Abs. 2 bis 4 etc.) für VA mit belastender Drittwirkung auszuschließen (BSG, Urteil v. 3.7.2013, B 12 KR 8/11 R). Ermächtigungsgrundlage für die Aufhebung der VA bleiben daher die §§ 45ff. (LSG Nordrhein-Westfalen, Urteil v. 14.5.2001, L 3 RJ 24/98). Dabei liegt der Regelung der Gedanke zugrunde, dass ein durch einen VA Begünstigter keinen Vertrauensschutz verdient, solange der ihn begünstigende und einen anderen belastende VA der Nachprüfung durch die Widerspruchsbehörde oder die Gerichte unterliegt. Bleibt aber z. B. § 45 die zutreffende Ermächtigungsgrundlage für die Aufhebung eines VA; sind auch die dort vorgeschriebenen Ermessenserwägungen anzustellen (LSG Hamburg, Urteil v. 28.6.2012, L 1 KR 92/10; a. A. LSG Schleswig-Holstein, Urteil v. 26.8.2010, L 5 KR 61/09), denn § 45 setzt grundsätzlich eine Interessensabwägung voraus und es ist kein Grund dafür ersichtlich, warum dies im Fall einer Drittbetroffenheit entbehrlich sein sollte (so auch LSG Hamburg, a. a. O.). Lediglich im Fall einer Ermessensreduzierung auf Null wird eine Ausnahme anzunehmen sein.
Das LSG Berlin (Urteil v. 26.1.2000, L 7 KA 55/98) entnimmt § 49 einen Rechtsgedanken, der über den unmittelbaren Anwendungsbereich hinausgeht und bei Vergütungsregelungen für Vertragsärzte dazu führt, auch rückwirkend Korrekturen vorzunehmen, wenn diese Vergütungsregelungen einen Teil der Ärzte zu Lasten eines anderen Teiles begünstigen.
Rz. 3
Zugleich wird durch die Vorschrift vermieden, für die Beurteilung der Rechtmäßigkeit von VA aus einem identischen Sachverhalt sich rechtlich widersprechende Rechtsfolgen ableiten zu können oder aufrechtzuerhalten (z. B. Beurteilung einer Tätigkeit auf der Leistungsseite als abhängige Beschäftigung einerseits und Verneinung einer Beschäftigung auf der Beitragsseite andererseits).
Rz. 4
Die Anwendung der Vorschrift setzt nicht voraus, wie die Begründung (BT-Drs. 7/910 S. 73) nahelegen könnte, dass der Begünstigte mit der Einlegung von Rechtsbehelfen Dritter bei Bescheiderteilung positiv rechnen musste. Eine solche Einschränkung ist dem Wortlaut der Vorschrift nicht zu entnehmen.