2.1 Begriff des öffentlich-rechtlichen Vertrages
Rz. 3
Nach der Legaldefinition des Abs. 1 Satz 1 liegt ein öffentlich-rechtlicher Vertrag vor, wenn auf dem Gebiet des öffentlichen Rechts ein Rechtsverhältnis begründet, geändert oder aufgehoben worden ist. Da eine ausdrückliche Regelung über das Zustandekommen eines öffentlich-rechtlichen Vertrages fehlt, sind nach § 61 Satz 2 die Vorschriften des BGB entsprechend anzuwenden. Danach kommt ein Vertrag durch Angebot und Annahme zustande (§§ 145 ff. BGB; BSG, Urteil v. 4.4.2017, B 11 AL 19/16 R). Ob ein Vertrag vorliegt, ist eine Auslegungsfrage. Auf die ausdrückliche Bezeichnung kommt es nicht an (BVerwGE 25 S. 78).
Die Vorschriften der §§ 53ff. finden nur auf eine öffentlich-rechtliche Verwaltungstätigkeit der Leistungsträger nach dem SGB Anwendung. Sie gelten deshalb nicht für völkerrechtliche Verträge, Staatsverträge, Verwaltungsabkommen sowie verfassungs- und kirchenrechtliche Verträge (Marschner, in: Pickel/Marschner, SGB X, § 53 Rz. 10). Ebenso sind die §§ 53ff. nicht auf privatrechtliche Verträge anwendbar.
Rz. 3a
Der Abschluss eines öffentlich-rechtlichen Vertrags ist in das pflichtgemäße Entschließungs- oder Auswahlermessen (§ 39 SGB I) der Behörde gestellt. Behörden sind die Sozialleistungsträger sowie deren Verbände und Arbeitsgemeinschaften. In der Grundsicherung nach dem SGB II handelt das Jobcenter als Sozialleistungsträger. Die Bereitschaft des Vertragspartners ist erforderlich. Dieser kann nicht durch einen Verwaltungsakt zum Abschluss gezwungen werden. Ein öffentlich-rechtlicher Vertrag kann während des gesamten Verwaltungsverfahrens einschließlich eines Widerspruchsverfahrens und im ggf. darauf folgenden sozialgerichtlichen Verfahren bis zu dessen Ende sowohl außergerichtlich als auch gerichtlich geschlossen werden.
Rz. 3b
Es besteht seitens des potenziellen Vertragspartners der Behörde kein Rechtsanspruch darauf, einen Vertrag zu schließen (BSG, Urteil v. 10.3.2010, B 3 KR 26/08 R). Ein Kontrahierungszwang kann sich allerdings für einen Leistungserbringer gegenüber einer marktbeherrschenden Krankenkasse ergeben (BSG, Urteil v. 17.7.2008, B 3 KR 23/07 R).
Rz. 4
Umstritten ist, ob § 53 auch auf sog. Normsetzungsverträge anwendbar ist. Dabei handelt es sich um Verträge, die nicht nur Rechte und Pflichten der Vertragspartner, sondern – aufgrund gesetzlicher Ermächtigung – auch Rechte und Pflichten nicht am Vertrag beteiligter Dritter regeln (grundlegend dazu: Engelmann, NZS 2000 S. 1). Gegen eine Anwendbarkeit wird eingewandt, dass Normsetzungsverträge vom Begriff des Verwaltungsverfahrens in § 8 nicht erfasst werden und deshalb bereits eine Anwendbarkeit ausgeschlossen ist (Maurer, DVBl. 1989 S. 798, 803; ebenso Tapper, in: Schlegel/Voelzke, jurisPK-SGB X, § 53 Rz. 35 m. w. N.). Dies vermag bereits deshalb nicht zu überzeugen, weil der Anwendungsbereich von § 53 nicht allein auf denjenigen Vertrag ausgerichtet ist, durch den ein Verwaltungsakt ersetzt werden soll, sondern sich auf alle Gebiete des öffentlichen Rechts erstreckt (BSGE 70 S. 240; Sodan, NZS 1998 S. 305; Boerner, SGb 2000 S. 389; Engelmann, in: v. Wulffen, SGB X, § 53 Rz. 4c).
Rz. 4a
Verträge des Spitzenverbandes Bund der Krankenkassen mit den Spitzenorganisationen der Heilmittelerbringer sind öffentlich-rechtliche Verträge mit normativer Wirkung (BSG, Urteil v. 16.3.2017, B 3 KR 14/16 R). Nicht am Vertrag beteiligter Dritter ist ein Leistungserbringer, der zugelassen werden möchte und dafür die für die Versorgung der Versicherten geltenden Vereinbarungen anerkennt (§ 124 Abs. 2 Satz 1 Nr. 3 SGB V).
2.1.1 Koordinationsrechtliche Verträge
Rz. 5
Koordinationsrechtliche Verträgewerden zwischen hinsichtlich des Vertragsgegenstandes gleich geordneten Vertragspartnern geschlossen. Sie kommen sowohl auf bundes- als auch landesrechtlicher Ebene vor und spielen auch im Sozialrecht eine nicht unerhebliche Rolle (Verträge des Kassenarztrechts – §§ 82ff. SGB V – berufsgenossenschaftliche Katasterabkommen – Vereinbarungen zwischen verschiedenen Versicherungsträgern über Reha-Maßnahmen, gemeinsame Richtlinien über die Anhörung von medizinischen Sachverständigen, über Leistungsauszahlungen oder EDV-Arbeiten – § 30 Abs. 2 Satz 2 SGB IV – Verwaltungsvereinbarungen zwischen Unfallversicherungsträgern und Krankenkassen). Zur Anwendbarkeit von §§ 53 ff. vgl. BSG, SozR 4-2500 § 130 a Nr. 3.
2.1.2 Subordinationsrechtliche Verträge
Rz. 6
Subordinationsrechtliche Verträge sind gegeben, wenn die Vertragsparteien hinsichtlich des Vertragsgegenstandes in einem Über- und Unterordnungsverhältnis zueinander stehen. Da die Zulässigkeit entsprechender Verträge lange umstritten war, wird sie in Abs. 1 Satz 2 durch das Wort "insbesondere" ausdrücklich geklärt. Es handelt sich hauptsächlich um Verträge, die eine Behörde mit einem Partner schließt, an den sie in der Sache auch einen Verwaltungsakt richten könnte (vgl. dazu auch BVerwG, NVwZ 2000 S. 1286). Darunter fallen auch Verträge zwischen mehreren Trägern der Verwaltung, sofern zwischen diesen ein Über- und Unterordnungsverhältnis besteht (z. B. zwischen den einzelnen Versicherungsträgern und ...