2.1 Förmlicher Rechtsbehelf

 

Rz. 3

Die Norm bezieht sich nur auf förmliche Rechtsbehelfe. Dies ist das Rechtsmittel gegenüber Verwaltungsakten, also der Widerspruch. Die formlosen Rechtsbehelfe sind nicht gesetzlich geregelt (Gegenvorstellung, Aufsichts- oder Dienstaufsichtsbeschwerde sowie Petition). Die in den Prozessordnungen geregelte Anhörungsrüge (§ 178 a SGG, § 153 a VwGO) wird von § 62 ebenfalls nicht erfasst. Die formlosen Rechtsbehelfe haben – anders als der Widerspruch (§ 86 a Abs. 1 Satz 1 SGG) – keine aufschiebende Wirkung und hemmen nicht den zur Unanfechtbarkeit des Verwaltungsaktes führenden Ablauf der Rechtsmittelfrist. Weiterhin haben sie weder Suspensiv- noch Devolutiveffekt. Während früher die Behörden hinsichtlich der Durchführung des Widerspruchsverfahrens – wie heute noch hinsichtlich des Verfahrens bei einer Dienstaufsichtsbeschwerde oder Gegenvorstellung – frei waren, gelten nunmehr die Vorschriften des SGB X, soweit SGG oder VwGO nichts anderes bestimmen (z. B. für die Wiedereinsetzung in den vorigen Stand, §§ 67 und 84 Abs. 2 SGG).

2.2 Vorrang anderer gesetzlicher Bestimmungen

 

Rz. 4

Aus dem Wortlaut des § 62 ergibt sich, dass auf förmliche Rechtsbehelfe folgende Vorschriften in der angegebenen Reihenfolge anzuwenden sind:

  1. Gesetze, die etwas anderes bestimmen als das SGG oder die VwGO. Dazu zählen auch die anderen Bücher des SGB (z. B. § 36 SGB I – Handlungsfähigkeit). Das sind weiter allgemeine oder spezielle Rechtswegeregelungen (z. B. in Wiedergutmachungsangelegenheiten nach dem Bundesentschädigungsgesetz, Ersatz- bzw. Entschädigungsansprüche nach dem Baugesetzbuch oder bei Schadensersatzansprüchen aus der Verletzung öffentlich-rechtlicher Pflichten – § 40 Abs. 2 VwGO). Die Zuständigkeit der Zivilgerichte führt dazu, dass in solchen Fällen behördliche Entscheidungen über einen etwaigen Schadenersatz nicht dem Vorverfahren nach dem SGG unterliegen,
  2. das SGG oder die VwGO und die zu ihren Ausführungen ergangenen Rechtsvorschriften,
  3. die Vorschriften des SGB X selbst.

Das SGB X gilt demnach grundsätzlich nur subsidiär, es kann allerdings im Vorverfahren nach SGG und VwGO ergänzend eingreifen.

2.3 Anwendbarkeit von SGG oder VwGO

 

Rz. 5

Die Frage der Anwendbarkeit von SGG oder VwGO ist Folge der unterschiedlichen Anwendungsbereiche des SGB X und letztlich nach der Rechtswegezuweisung im SGG (§ 51 SGG) und in der VwGO (§ 40 VwGO) zu entscheiden. Danach sind auch im Widerspruchsverfahren gemäß § 63 die Vorschriften der VwGO anzuwenden, soweit es sich um öffentlich-rechtliche Streitigkeiten nicht verfassungsrechtlicher Art oder um Streitigkeiten aufgrund der besonderen Zuweisung gemäß § 40 Abs. 2 VwGO handelt. Die Vorschriften des SGG sind hingegen anwendbar bei öffentlich-rechtlichen Streitigkeiten in Angelegenheiten der Sozialversicherung, des Arbeitsförderungsrechts und der übrigen Aufgaben der Bundesagentur für Arbeit sowie des sozialen Entschädigungsrechtes (außer der Kriegsopferfürsorge) sowie der sondergesetzlich zugewiesenen Streitigkeiten (vgl. dazu Jung, in: Jansen, SGG, 4. Aufl., § 51 Rz. 25 f). Seit 1.1.2005 sind die Gerichte der Sozialgerichtsbarkeit auch für Angelegenheiten der Grundsicherung für Arbeitsuchende (§ 51 Abs. 1 Nr. 4a SGG) und in Angelegenheiten der Sozialhilfe und des Asylbewerberleistungsgesetzes (§ 51 Abs. 1 Nr. 6a SGG) zuständig.

2.4 Widerspruchsverfahren nach dem SGG

 

Rz. 6

Der Schwerpunkt der insoweit nach § 62 auf förmliche Rechtsbehelfe anwendbaren Vorschriften liegt in der Regelung des Vorverfahrens nach den §§ 77ff. SGG.

Grundsätzlich sieht § 78 SGG vor Klageerhebung die Nachprüfung von Rechtmäßigkeit und Zweckmäßigkeit des Verwaltungsaktes im Widerspruchsverfahren vor. Es gibt nur sehr begrenzte enumerativ genannte Ausnahmen. Durch das Vorverfahren soll die Verwaltung in die Lage versetzt werden, ihre Entscheidung im Wege der Selbstkontrolle zu überprüfen. Ferner wird der Rechtsschutz des Bürgers insofern verbessert, als das Vorverfahren bei Ermessensentscheidungen auch die Möglichkeit der Überprüfung der Zweckmäßigkeit in vollem Umfange – anders als bei der gerichtlichen Überprüfung – bietet. Letztlich werden die Gerichte durch die Filterwirkung des Vorverfahrens entlastet.

Die Durchführung des Vorverfahrens ist Prozessvoraussetzung (BSGE 4 S. 246). Eine Anfechtungs- oder Verpflichtungsklage ist so lange unzulässig, wie das Vorverfahren nicht durchgeführt worden ist; das Gericht muss allerdings den Beteiligten Gelegenheit geben, das Vorverfahren nachzuholen (z. B. durch Aussetzung oder Vertagung – BSGE 20 S. 199; BSGE 25 S. 66).

Soweit die VwGO zur Anwendung kommt, gilt grundsätzlich nichts anderes. Jedoch haben einige Bundesländer (z. B. Nordrhein-Westfalen) durch landesgesetzliche Regelungen in zahlreichen Fallkonstellationen das Widerspruchsverfahren gestrichen (in Nordrhein-Westfalen durch das Gesetz zum Büürokratieabbau v. 9.10.2007, GV NRW S. 939). Damit kann in der Praxis der Grundsatz zur Ausnahme werden.

 

Rz. 7

Das Vorverfahren ist ein besonderes Verwaltungsverfahren, das sich mit Einlegung des Widerspruchs an das mit dem Erlass des Verwaltungsaktes beendete Verwaltungsverfahren anschließt. Auch de...

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