2.5.1 Weiterübermittlung gerichtlicher Entscheidungen durch Gerichte oder Staatsanwaltschaften (Abs. 1 Satz 4)
Rz. 19
Nach Abs. 1 Satz 4 dürfen Gerichte oder Staatsanwaltschaften Sozialdaten weiterübermitteln, die Eingang in gerichtliche Entscheidungen gefunden haben, wenn dies eine Stelle nach § 35 SGB I auch dürfte. Die Gerichte und Staatsanwaltschaften müssen also vor einer Weiterübermittlung von Sozialdaten in Gerichtsentscheidungen prüfen, ob die Übermittlungsvoraussetzungen der §§ 68 ff. SGB X vorliegen.
Weitergabe eines Gerichtsurteils über einen Arbeitgeber wegen Nichtabführung von Sozialabgaben bzw. Schwarzarbeit an die Behörden der Zollverwaltung: Neben dem geschädigten Leistungsträger haben also über § 78 Abs. 1 Satz 4 auch das Gericht und die Staatsanwaltschaft die Möglichkeit, die Behörden der Zollverwaltung nach § 71 Abs. 1 Nr. 6 oder auch § 69 Abs. 1 Nr. 1 zu informieren.
2.5.2 Strafverfahren und dienstliche Maßnahmen gegen Beamte (Abs. 1 Satz 5)
Rz. 20
Abs. 1 Satz 5 ist eine Ausnahme bzw. Erweiterung des Satzes 4, der eine Weiterübermittlung von Sozialdaten in Gerichtsurteilen zulässt, wenn die Voraussetzungen der §§ 68 ff. SGB X vorliegen (vgl. Rz. 19).
Das Gericht und die Strafverfolgungs- oder Strafvollstreckungsbehörden dürfen nach Satz 5 in Strafverfahren gegen Beamte bestimmte Informationen, auch wenn diese die Qualität von Sozialdaten haben, dem Dienstvorgesetzten mitteilen. Dies ergibt sich aus dem Verweis auf § 115 Bundesbeamtengesetz oder Vorschriften, die auf diese Vorschrift verweisen. Danach hat das Gericht oder die Strafverfolgungs- oder Strafvollstreckungsbehörde in Strafverfahren gegen Beamte zur Sicherstellung der erforderlichen dienstrechtlichen Maßnahmen bestimmte Informationen an den zuständigen Dienstherrn zu übermitteln. Dies sind insbesondere die Anklageschrift, der Antrag auf Erlass eines Strafbefehls und die abschließende Entscheidung mit Begründung.
Rz. 21
Anders als nach Satz 4 kommt es bei einer Übermittlung nach Satz 5 nicht darauf an, ob ein Leistungsträger (§ 35 SGB I) das auch dürfte, also die Voraussetzungen der §§ 68 ff. vorliegen. Dies ergibt sich aus den Worten "Abweichend von Satz 4 ...".
2.5.3 Verarbeitung und Nutzung für Zwecke der Gefahrenabwehr, Strafverfolgung und Strafvollstreckung (Abs. 1 Satz 6)
Rz. 22
Nach Abs. 1 Satz 6 dürfen Polizeibehörden, Staatsanwaltschaften, Gerichte oder Behörden der Gefahrenabwehr die ihnen übermittelten Sozialdaten auch losgelöst vom Übermittlungszweck speichern, verändern, nutzen, übermitteln, in der Verarbeitung beschränken oder löschen. Maßgeblich ist nur, dass dies für Zwecke der Gefahrenabwehr, der Strafverfolgung und der Strafvollstreckung geschieht.
Mit der Vorschrift wird von dem durch die DSGVO eröffneten Regelungsspielraum Gebrauch gemacht, wonach die Mitgliedstaaten nationale Regelungen in Fällen, in denen der Zweck der Weiterverarbeitung nicht mit dem ursprünglichen Zweck vereinbar ist, erlassen dürfen, soweit die nationale Regelung eine "in einer demokratischen Gesellschaft notwendige und verhältnismäßige Maßnahme zum Schutz der in Artikel 23 Absatz 1 genannten Ziele darstellt". Die Gefahrenabwehr wird ausdrücklich in Art. 23 Abs. 1 Buchst. d DSGVO genannt (BT-Drs. 18/12611).
2.5.4 Vollstreckungsbeamte (Abs. 3)
Rz. 23
Abs. 3 ist eine Schutzmaßnahme für Vollstreckungsbeamte. Die Regelung entspricht einem Anliegen der Praxis (vgl. BT-Drs. 12/5187 S. 41). Vollstreckungsbeamte sind erfahrungsgemäß in besonderem Maße verbalen oder tätlichen Angriffen ausgesetzt. Ahndet der Vollstreckungsbeamte dies durch eine Strafanzeige, so dürfen insoweit auch im Rahmen der Erforderlichkeit Sozialdaten gespeichert, verändert, genutzt, übermittelt, in der Verarbeitung beschränkt oder gelöscht werden, die ursprünglich zum Zwecke der Vollstreckung zur Verfügung gestellt worden sind. Das gilt in gleicher Weise, wenn gegen den Vollstreckungsbeamten ein Disziplinarverfahren anhängig ist.
2.5.5 Wissenschaftliche Forschung (Abs. 4)
Rz. 24
Sozialdaten, die befugt zur Durchführung eines Strafverfahrens oder eines Bußgeldverfahrens an Gerichte oder Staatsanwaltschaften übermittelt worden sind, dürfen nach Abs. 4 unter bestimmten Voraussetzungen für Zwecke der wissenschaftlichen Forschung gespeichert, verändert, genutzt, übermittelt, in der Verarbeitung beschränkt oder gelöscht werden. Insbesondere müssen die Voraussetzung des § 476 StPO vorliegen, auf die auch der in Abs. 4 genannte § 49b OWiG verweist.
2.5.6 Behörden der Zollverwaltung (Abs. 5)
Rz. 25
Mit Art. 8 des Siebten Gesetzes zur Änderung des Vierten Buches Sozialgesetzbuch und anderer Gesetze v. 12.6.2020 wurde mit Wirkung zum 1.7.2020 ein neuer Abs. 5 eingefügt. Danach dürfen die Behörden der Zollverwaltung Sozialdaten, die ihnen zum Zweck der Vollstreckung übermittelt worden sind, auch zum Zweck der Vollstreckung öffentlich-rechtlicher Ansprüche anderer Stellen als der in § 35 SGB I genannten Stellen verarbeiten.
Mit der neuen Regelung sollte lediglich die bisher bestehende Zweckbindung für die Fälle aufgehoben werden, in denen Sozialdaten den Behörden der Zollverwaltung nach § 74 a Abs. 1 zur Vollstreckung einer öffentlich-rechtlichen Forderung bzw. im Rahmen ihrer Aufgabenerfüllung nach § 66 zur Vollstreckung von Forderungen der Sozialleistungsträger übermittelt wurden, sodass bei Vorliegen einer entsprechenden zweckändernden Verarbeitungsbefugnis die Sozialdaten auch zur Vollstreckung a...