0 Rechtsentwicklung
Rz. 1
§ 87 ist mit dem SGB X v. 4.11.1982 (BGBl. I S. 1450) zum 1.7.1983 in Kraft getreten und hat seither keine weiteren Änderungen erfahren. Im Zusammenhang mit der Neufassung des SGB X v. 18.1.2001 (BGBl. I S. 130) ist § 87 unverändert neu bekanntgemacht worden. Eine Vorgängervorschrift besteht nicht.
1 Allgemeines
Rz. 2
Mit § 87 wird die beschleunigte Auszahlung einer Nachzahlung an den leistungsberechtigten Versicherten, mit der ein (Erstattungs-)Anspruch (nach § 50 SGB X) verrechnet werden soll für den Fall, dass der um Verrechnung ersuchende Leistungsträger seinen Erstattungsanspruch noch nicht beziffern und von daher die Verrechnungslage nicht herbeiführen kann, bezweckt. Gleiches gilt für einen gesetzlichen Forderungsübergang hinsichtlich der beanspruchten Leistung (Nachzahlung) auf einen Dritten (Leistungsträger).
Rz. 3
Der betroffene Sozialleistungsempfänger muss es seit Einführung des § 52 SGB I dulden, dass eine ihm zustehende Leistung mit einem fälligen Erstattungsanspruch eines anderen Trägers verrechnet wird, obwohl die Gegenseitigkeit der Ansprüche, wie nach § 51 SGB I erforderlich, nicht gegeben ist.
Rz. 4
§ 87 verschafft dem berechtigten Leistungsträger für den Fall einer Leistungsnachzahlung eines weiteren Trägers die Einrede der Verrechenbarkeit eines Anspruchs bzw. die Einrede eines gesetzlichen Forderungsübergangs. Diese Einreden haben – längstens für den im Gesetz bezeichneten 2-Monats-Zeitraum – rechtshemmende Wirkung (Eichenhofer, in: Wannagat, SGB X, Stand: März 2001, § 87 Rz. 1).
2 Rechtspraxis
Rz. 5
In § 87 sind 2 Fallgestaltungen, das Verrechnungsersuchen (Abs. 1) und der gesetzliche Forderungsübergang (Abs. 2), enthalten.
2.1 Verrechnungsersuchen (Abs. 1)
2.1.1 Leistungsträger
Rz. 6
Leistungsträger sind die in § 12 SGB I bezeichneten Behörden und Körperschaften. Maßgeblich ist die Berechtigung, durch Erlass eines Verwaltungsaktes Leistungen festzustellen und zu gewähren. In diesem Zusammenhang sind auch entsprechend berechtigte Arbeitsgemeinschaften (vgl. § 94) Leistungsträger.
2.1.2 Nachzahlung
Rz. 7
Der Begriff der Nachzahlung hat keine gesetzliche Definition erfahren. Nachzahlungen beziehen sich zunächst auf die nachträgliche Erbringung laufender Geldleistungen, die regelmäßig wiederkehrend für bestimmte Zeitabschnitte gezahlt werden. Die Nachzahlung kann hierbei als zusammenfassende Zahlung für mehrere Zeiträume geleistet werden. Eine Nachzahlung ergibt sich immer dann, wenn
- eine laufende Geldleistung in zu geringer Höhe festgestellt wurde und eine Neuberechnung der Leistung auch für zurückliegende Zeiträume vorgenommen werden muss oder
- ein Bescheid über eine (laufende) Geldleistung nicht rechtzeitig erstellt wurde oder werden konnte und nach der ersten Fälligkeit (bei laufenden Leistungen) bis zum Zeitpunkt des Erlasses des Bescheids die Zahlung der Geldleistung für zurückliegende Zeiträume erbracht werden muss.
Rz. 8
Nachzahlungen können aber auch (so Wiesner, in: v. Wulffen/Schütze, SGB X, 8. Aufl. 2014, § 87 Rz. 5) auf einmalige Leistungen, wie Abfindungen und Beitragserstattungen, ergehen. Nach Eichenhofer (in: Wannagat, SGB X, Stand: März 2001, § 87 Rz. 11) ist lediglich eine analoge Anwendung des § 87 zulässig, wenn die Nachzahlung (insbesondere bei Rentenabfindungen) aufgrund gesetzlicher Rechtsfolgen an die Stelle der laufenden Leistung tritt. Dies ist namentlich in Fällen von § 76 Abs. 2 und §§ 78 bis 80 SGB VII der Fall. Soweit der Anspruch auf eine Zahlung nicht der laufenden Gewährung von Leistungen dient, wird die analoge Anwendbarkeit der Vorschrift verneint.
Rz. 9
Da einmalige Leistungen regelmäßig der Aufrechnung und Verrechnung unterliegen und der Fall, dass eine zu erstattende Leistung nicht rechtzeitig beziffert werden kann, nicht allzu häufig eintreten dürfte, ergibt sich nur ein sehr geringer Anwendungsbereich des § 87 Abs. 1, der es für den betroffenen Leistungsempfänger hinnehmbar macht, weiterhin der Aufrechnung nach § 52 SGB I zu unterliegen und nicht eine zügige Auszahlung seines Anspruchs i. S. d. § 87 beanspruchen zu dürfen.
2.1.3 Verrechnungsersuchen
Rz. 10
Eine Verrechnung stellt den zur Leistung verpflichteten Träger in Höhe des zu verrechnenden Betrages von seiner Leistungspflicht gegenüber dem berechtigten Versicherten frei, indem er den entsprechenden Betrag an den um Verrechnung ersuchenden Träger überweist. Dies hat innerhalb der Grenzen des § 51 SGB I zu erfolgen. Bei laufenden Leistungen darf eine Verrechnung nur zur Hälfte der auszukehrenden Leistung erfolgen und nur, soweit die Leistung pfändbar ist und der Empfänger durch die Verrechnung nicht hilfebedürftig i. S. d. SGB II oder des SGB XII wird.
Fraglich ist, ob der ersuchte Träger verpflichtet ist, das Zurückbehaltungsrecht gegenüber dem Versicherten geltend zu machen. Aus dem Gesetzestext (spätestens) wird gefolgert, dass der ersuchte Träger nicht verpflichtet ist, den gesamten 2-Monats-Zeitraum zuzuwarten. Hier ist auf die Rechtsnatur des § 87 abzustellen. Für den Fall, dass der um Verrechnung ersuchende Träger die Höhe seines Anspruchs nicht beziffern kann, besteht grundsätzlich keine Verrechnungslage. Vielmehr m...