In seinem vielgelobten Buch "Die Gesellschaft der Singularitäten" von 2017 beschreibt der Soziologe Andreas Reckwitz, dass die Bewegung hin zu Einzigartigkeit und Außergewöhnlichkeit (anstelle von: Gleichförmigkeit und Konformität) die wohl umfassendste gesellschaftliche Umwälzung der Gegenwartsgesellschaft darstelle. So ist es nicht verwunderlich, dass diese Dynamik auch mehr und mehr Einzug in die Arbeitswelt hält. Frithjof Bergmann, Pate der New Work-Bewegung, sprach in seinen Büchern und Vorträgen gerne von der Arbeit, die man wirklich, wirklich will.
Wenn nun allerdings ein jeder Mensch die Arbeit macht, die er wirklich, wirklich will, steht das prinzipiell im Gegensatz zu diversen Grundsätzen der Betriebswirtschaftslehre, in der auf Reproduzierbarkeit und Skalierbarkeit möglichst vieler Tätigkeiten und Abläufe abgestellt wird. In seiner extremen Form war dies in der Ära des Scientific Management zu Beginn des letzten Jahrhunderts zu beobachten. Dort wurden alle Arbeitsabläufe kleinteilig von einigen wenigen Managern vorgegeben. Die Arbeiter sollten nicht denken, sondern eine klar abgrenzbare Anzahl von Arbeitsschritten immer und immer wieder ausführen – sie waren gewissermaßen menschliche Arbeitsroboter.
Ein solches Vorgehen birgt allerdings (mindestens) zwei große Probleme:
- Zum einen sind Menschen keine besonders guten Roboter. Tatsächliche Industrieroboter – oder auch nur Algorithmen in irgendeinem Schaltkreis – können schon seit Jahrzehnten einen guten Teil der zuvor beschriebenen Arbeiten besser, schneller, günstiger erledigen. Mit der Weiterentwicklung von KI (-Tools) beschleunigt sich dieser Prozess weiter. Dies hält Unternehmen aber nicht davon ab, weiterhin ein möglichst hohes Maß an Standardisierung bei ihren menschlichen Angestellten anzustreben, selbst bei Aufgaben, die von einer hohen kognitiven Komplexität geprägt sind: Anweisungen, Normen, Vorschriften und nicht zuletzt die steuernde Hand der Vorgesetzten sollen, pointiert ausgedrückt, dafür sorgen, dass alles nach Schema F läuft.
- Das bringt uns zum anderen Problem: Die meisten Menschen finden das in den meisten Fällen völlig uninspirierend. Etwas formeller: Solche überstrukturierten Arbeitsumgebungen schmälern unsere Arbeitsfreude und in der Folge Leistung und Sinnwahrnehmung in der Arbeit.
Darüber hinaus ruft ein (über-)hoher Grad an Standardisierung unseren inneren Revoluzzer auf den Plan. Menschen umgehen recht häufig die ihnen vorgegeben Regeln und Strukturen, wenn sie nicht hilfreich und sinnstiftend erscheinen. Der Soziologe Niklas Luhmann prägte für solche Regelverletzungen, die einer Organisation letztlich Nutzen stiften, den Begriff der brauchbaren Illegalität – wobei Illegalität sich auf die formalen Regeln einer Organisation bezieht, nicht auf das Gesetz per se. In der Management-Literatur gibt es dafür, in einer ähnlichen Konnotation, den Begriff der konstruktiven Devianz.
Es gibt nicht wenige Beobachter des Management-Geschehens, die mit einem Zwinkern im Augenwinkel postulieren, dass es letztlich dieses konstruktiv-abweichende Verhalten ist, das „den Laden am Laufen hält“. Da geht es dann um den Workaround, wenn die Firmen-IT etwas nicht zu leisten imstande ist. Es geht um den kleinen Dienstweg, wenn der Pfad über die offiziellen Berichtslinien zu lange dauert. Es geht um das Verlegen von Themen von der Vorder- auf die Hinterbühne, wenn dafür der Burgfrieden gewahrt wird. Erfahrungsgemäß ist es oft diese Form der brauchbaren Illegalität, die Prozesse beschleunigt, Kreativität befeuert und Menschen ein bisschen entspannter arbeiten lässt.
1.1 Menschen als proaktive Gestalter ihrer Arbeitsrolle
Obgleich das Scientific Management in der Anfangsphase unbestreitbare Erfolge verzeichnen konnte und den Weg zur heute allgegenwärtigen Massenproduktion ebnete, bemerkte man doch früh die Nachteile – Nachteile vor allem für die Menschen, die in einem solchen System in den Nicht-Management-Funktionen arbeiten mussten. Extrem gleichförmiges Arbeiten ist alles andere als motivierend und innovationsförderlich und geht auf Dauer zu Lasten der körperlichen Gesundheit. Neben den frühen Überlegungen der humanistischen Psychologie wurde in der stärker empirisch arbeitenden Arbeitspsychologie ab Anfang der 1970er-Jahre das Job Characteristics Model (JCM) beschrieben, das auf die Suche nach objektivierbaren Eigenschaften und Qualitäten von Arbeitsaufgaben ging, die mit der Wahrnehmung von guter Arbeit aus Sicht der arbeitenden Personen einhergehen. Bei diesen Charakteristika von guter Arbeit handelt es sich um:
- Anforderungsvielfalt der Arbeitsaufgaben;
- Aufgabengeschlossenheit (Ganzheitlichkeit) der Arbeitsaufgaben;
- Bedeutsamkeit der Arbeitsaufgabe...