0 Rechtsentwicklung
Rz. 1
Die Vorschrift trat nach Art. 36 Satz 1 des UVEG v. 7.8.1996 (BGBl. I S. 1254) zum 1.1.1997 in Kraft. Durch Art. 4 Abs. 4 Nr. 2 des Gesetzes zur Umsetzung des Seearbeitsübereinkommens 2006 der Internationalen Arbeitsorganisation v. 20.4.2013 (BGBl. I S. 868) erfolgte mit Wirkung zum 1.8.2013 eine redaktionelle Anpassung an das Seearbeitsgesetz.
1 Allgemeines
Rz. 2
Die Vorschrift erweitert in ihrem Abs. 1 den Versicherungsfall für typische Gefahrensituationen in der See- und Binnenschifffahrt (vgl. Komm. zu § 121 Abs. 3) entsprechend dem bis zum 31.12.1996 geltenden Recht (§ 552 Nr. 1 bis 3 RVO [Binnenschiffahrt], § 838 Nr. 1 bis 3 RVO [Seeschiffahrt]). Das Retten oder Bergen von Menschen oder Sachen in § 552 Nr. 4, § 838 Nr. 5 RVO ist als Sonderregelung entbehrlich, weil je nach Fallgestaltung jetzt Versicherungsschutz nach § 2 Abs. 1 Nr. 1 oder Nr. 13a besteht.
Die Spezialvorschrift für die Seeschifffahrt über den Versicherungsschutz bei der Rückbeförderung von Seeleuten, die nun in § 10 Abs. 2 geregelt ist, entspricht dem bis zum 31.12.1996 geltenden Recht (§ 838 Nr. 4 RVO; BT-Drs. 13/2204 S. 79 zu § 10).
2 Rechtspraxis
2.1 Normzweck
Rz. 3
Die Vorschrift begünstigt die an Bord eines Schiffes Beschäftigten, indem sie den Versicherungsfall des Arbeitsunfalls erweitert. Auch ansonsten als rein private, eigenwirtschaftliche Verrichtungen zu betrachtende Tätigkeiten, die typischen Gefahrensituationen der Schifffahrt ausgesetzt sind – Elementarereignisse wie Sturm oder Hochwasser, die Gefahren im Hafen oder bei Liegeplätzen außerhalb von Häfen sowie die Wasserwege von oder zum Schiff –, werden in den Versicherungsschutz einbezogen. Damit wird berücksichtigt, dass an Bord eines See- oder Binnenschiffes Arbeitsbereich und Privatbereich zusammenfallen. Zudem sollen schifffahrts- und seeschifffahrtstypische Gefahren in den Unfallversicherungsschutz einbezogen werden.
2.2 Geltungsbereich der Unfallversicherung
2.2.1 Sachlicher Geltungsbereich
Rz. 4
§ 10 erfasst sowohl die Seeschifffahrt einschließlich der Seefischerei sowie der Küstenschifffahrt als auch die Binnenschifffahrt, weshalb die Unterscheidung (vgl. § 121 Abs. 3) für die Anwendung des § 10 dahinstehen kann.
2.2.2 Persönlicher Geltungsbereich
Rz. 5
Der erweiterte Versicherungsschutz des § 10 gilt für die Beschäftigten, deren Arbeitsbereich sich an Bord befindet, unabhängig davon, ob es sich um Seeleute oder andere an Bord Tätige handelt (Göttsch, in: Lauterbach, SGB VII, § 10 Rz. 18; Leube, in: Kater/Leube, SGB VII, § 10 Rz. 4; Schmitt, SGB VII, § 10 Rz. 4). Eine Ausdehnung auf Beschäftigte des Schifffahrtsunternehmens in dessen Hilfsbetrieben an Land scheidet nach der Rechtsprechung des BSG (Urteil v. 28.6.1984, 2 RU 45/83) aus, auch wenn die Beschäftigten zu Lade- oder Wartungsarbeiten an Bord tätig werden. Geschützt ist nicht der besonders gefährliche Arbeitsplatz Hafen, sondern die Notwendigkeit, dass Seeleute das Hafengebiet beim Landgang zwangsläufig zu durchqueren haben.
Beispiele:
- Wird ein Arbeitnehmer im Wege der Arbeitnehmerüberlassung auf einem Schiff als Helfer beschäftigt, greift der Schutz des § 10.
- Ein Molenwärter, der mit dem Fahrrad von der Mole ins Wasser stürzt und ertrinkt, ist nicht nach § 10 versichert.
2.2.3 Territorialer Geltungsbereich
Rz. 6
Die gesetzliche Unfallversicherung gilt für Seeleute mit Ausnahme der Lotsen, die an Bord von Seeschiffen unter deutscher Flagge beschäftigt sind, wobei der Aufenthalt in fremden Hoheitsgewässern nicht schadet, weil das Schiff als "schwimmender Gebietsteil seines Heimatlandes" gilt (Flaggenstaatsprinzip), § 13 Abs. 1 und 2 SGB IV (vgl. BSG, Urteil v. 25.10.1988, 12 RK 21/87). Die Berechtigung, die deutsche Flagge zu führen, ergibt sich aus dem Flaggenrechtsgesetz.
Rz. 7
Deutsche Seeleute, die wegen des häufig gewordenen "Ausflaggens" unter ausländischer Flagge von sog. Billiglohnländern mit geringem sozialen Schutz fahren (Liberia, Zypern, Philippinen etc.), können auf Antrag des Reeders bei der See-Berufsgenossenschaft versichert werden, wenn die weiteren Voraussetzungen des § 2 Abs. 3 Satz 2 und 3 SGB IV erfüllt sind:
- Einbeziehung in die Beitragspflicht,
- Unterstellung des Seeschiffes unter die Unfallverhütung und Schiffssicherheitsüberwachung durch die See-Berufsgenossenschaft und
- kein Widerspruch des Staates, dessen Flagge das Schiff führt, gegen die Versicherung.
Rz. 8
Weil die Entsendungsvorschriften nach § 4 Abs. 2 Satz 1 SGB IV ausgeschlossen sind (BSG, Urteil v. 14.1.1991, 2 RU 29/90), besteht aufgrund der Satzungsermächtigung in Satz 2 der Vorschrift nur eine enge Ausnahmeregelung zur Entsendung nach § 56a der Satzungsregelung der See-Berufsgenossenschaft. Durch Art. 3 Nr. 21 des Dritten Gesetzes zur Änderung des Vierten Buches Sozialgesetzbuch v. 5.8.2010 (vgl. BGBl. I S. 1127) wurde mit Wirkung zum 11.8.2010 die Seeberufsgenossenschaft durch die Berufsgenossenschaft für Transport und Verkehrswirtschaft ersetzt.
2.3 Versicherungsschutz für dem Schifffahrtsbetrieb eigentümliche Gefahren
Rz. 9
Weil das Schiff zugleich Arbeits-, Aufenthalts- und Wohnstätte für die auf dem Schiff Tätigen ist (§ 41 SeemG – Anspruch auf Unterkunft an Bord) und überdies zumeist ständige Arbeitsbereitschaft besteht, die auch im Rahmentarifvertrag ihren Niederschlag gefund...