Rz. 3
Die Bestimmung stellt eine von § 43 SGB I abweichende Sonderregelung insbesondere dahingehend dar, als sie den sich für unzuständig haltenden Unfallversicherungsträger zur Erbringung (vorläufiger) Leistungen verpflichtet, während § 43 SGB I den Leistungsträgern insoweit ein Ermessen einräumt.
Rz. 3a
Um der Verpflichtung zur vorläufigen Leistungserbringung zu entgehen, ist für den erstangegangenen Unfallversicherungsträger in Anbetracht der 21-Tage-Regelung Eile geboten. Die relativ knappe Frist zur Klärung der Zuständigkeit liegt im Interesse des Versicherten, möglichst rasch zu erfahren, wer ihm gegenüber zur Leistung verpflichtet ist.
Rz. 3b
Die vorläufigen Leistungen gemäß § 43 SGB I sind Sach- und Geldleistungen, deren Umfang durch den erstangegangenen Unfallversicherungsträger nach pflichtgemäßem Ermessen bestimmt wird. Ein Antrag des Berechtigten zur Leistungsgewährung ist nicht erforderlich.
Rz. 3c
Die Formvorschriften über die endgültige Leistung gelten zwar für den erstangegangenen Versicherungsträger nicht. Gleichwohl muss die noch nicht gesicherte Rechtsposition im Hinblick auf eine künftige Leistungsgewährung für den Versicherten erkennbar werden. Bis zur endgültigen Klärung der Zuständigkeit hat der die vorläufige Leistung erbringende Unfallversicherungsträger deutlich zu machen, dass er nicht Schuldner des Entschädigungsanspruchs des Versicherten ist.
Rz. 3d
Der Betroffene kann seinen Anspruch auf die endgültige Leistung sowohl gegenüber dem erstangegangenen als auch gegenüber dem seine Zuständigkeit prüfenden (mutmaßlichen) Unfallversicherungsträger geltend machen (BSG, Urteil v. 24.10.1985, 2 RU 53/84).
Rz. 3e
Die Erbringung der vorläufigen Leistungen endet, sobald der andere Unfallversicherungsträger seine Zuständigkeit bzw. Entschädigungspflicht anerkennt oder die Entschädigung übernimmt. Der zuständige Unfallversicherungsträger ist bei seiner Entscheidung nicht an die Feststellungen des erstangegangenen Unfallversicherungsträgers gebunden. Er kann hinsichtlich der Zuständigkeit sowie der Leistungsvoraussetzungen eigene Ermittlungen anstellen.
Rz. 3f
Der vorläufig Leistende kann von dem endgültig zuständigen Unfallversicherungsträger nach § 102 Abs. 2 SGB X die Erstattung seiner vorläufigen Leistung verlangen. Die Erstattung richtet sich nach den für ihn geltenden Rechtsvorschriften. Daraus folgt, dass auch Leistungen zu erstatten sind, die etwa aufgrund eines niedrigeren Jahresarbeitsverdienstes (JAV) von dem letztendlich zuständigen Unfallversicherungsträger in dieser Höhe nicht zu erbringen gewesen sind. Denn der vorleistende Sozialversicherungsträger soll keine finanziellen Nachteile aus seiner anfänglichen Leistungsbereitschaft erleiden.
Rz. 3g
Ein Landwirt betreibt neben Ackerbau und Viehzucht eine Pferdepension (Reittierhaltung), mit der er freiwillig bei der Berufsgenossenschaft für Verkehr, die für gewerbliche und private Reittierhaltungen zuständig ist, mit einem Jahresarbeitsverdienst (Versicherungssumme) von 50.000,00 EUR versichert ist. Als er einen Reitunfall bei der BG für Verkehr meldet, orientiert sich diese bei der Berechnung des nach § 47 Abs. 5 zu leistenden Verletztengeldes unzutreffender Weise an der Versicherungssumme. Denn die Pensionstierhaltung ist rechtlich nach § 131 Abs. 1 als Nebenunternehmen der Landwirtschaft einzustufen. Das hat zur Folge, dass der Landwirt mit seiner Reittierhaltung bei der landwirtschaftlichen Berufsgenossenschaft (Zweig der Sozialversicherung Landwirtschaft, Forsten und Gartenbau – SVLFG) pflichtversichert ist und für ihn bei der Berechnung des Verletztengeldes § 93 Abs. 1 Nr. 1 zur Anwendung kommt. Danach gilt ein pauschalierter Jahresarbeitsverdienst, der für 2022 gesetzlich festgesetzt 14.686,97 EUR beträgt. Dies ergibt 2022 ein Verletztengeld von 32,64 EUR täglich (450. Teil von 14.686,97 EUR) gegenüber der von der BG für Verkehr ausgezahlten 111,11 EUR pro Tag (450. Teil von 50.000 EUR). Entsprechend hat die landwirtschaftliche BG die Differenz von 78,47 EUR der BG für Verkehr gemäß § 102 Abs. 2 SGB X zu erstatten.
Allerdings kann die erstattungspflichtige BG unter Umständen vom Empfänger der vorläufigen Leistung gemäß § 43 Abs. 2 i. V. m. § 42 Abs. 2 SGB I zurückfordern.
Rz. 4
Ausweislich der Gesetzesbegründung (BT-Drs. 13/2204 S. 109) regelt Abs. 2 Satz 1 in Abweichung zu Abs. 1 den Fall, wonach der erstangegangene Unfallversicherungsträger nicht oder noch nicht der Ansicht ist, ein Versicherungsfall liegt vor, aber unter fiktiver Annahme desselben einen anderen Unfallversicherungsträger für zuständig erachtet. Entsprechend hat er alle ihm zugegangenen Unterlagen an den von ihm für zuständig gehaltenen Unfallversicherungsträger unverzüglich mit etwaigen weiteren Feststellungen abzugeben.
Rz. 4a
Statt wie in Abs. 1 bei Vorliegen der dort genannten Voraussetzungen nach 21 Tagen vorläufige Leistungen erbringen zu müssen, räumt der Gesetzgeber dem erstangegangenen Unfallversicherungsträger nach Ablauf der 21 Tage, in denen d...