Rz. 123
Der Versicherungstatbestand nach Nr. 13 Buchst. a bezieht Personen als Versicherte in den Schutz der GUV ein, die in Zusammenhang mit bei Unglücksfällen, Not und Gefahr und der Strafbarkeit wegen unterlassener Hilfeleistung (§ 323c StGB) einer Handlungspflicht unterliegen (BSG, Urteil v. 22.6.1976, 8 RU 124/75; BSG, Urteil v. 13.9.2005, B 2 U 6/05 R). Die Vorschrift entspricht – lediglich sprachlich überarbeitet – dem bis zum Inkrafttreten des SGB VII geltenden § 539 Abs. 1 Nr. 9 Buchst. a RVO (BT-Drs. 13/2204 S. 75). Der Versicherungstatbestand stellt die Bürger bei einer Tätigkeit unter Versicherungsschutz, die aus der Sicht des öffentlichen Interesses als so bedeutsam angesehen wird, dass ihre – schuldhafte – Unterlassung mit strafrechtlicher Sanktion belegt ist. Im Gegenzug wird der pflichtgemäß Hilfe Leistende gegen die infolge einer Hilfeleistung oder Rettung eintretenden Personenschäden versichert (BSG, Urteil v. 13.9.2005, B 2 U 6/05 R).
Die Versicherungstatbestände der Nr. 13 gelten gemäß Abs. 3 Satz 5 auch für Personen, wenn sie im Ausland Hilfe leisten, Blut usw. spenden und im Rahmen der Strafverfolgung tätig werden, wenn und solange sie nur im Inland ihren Wohnsitz oder gewöhnlichen Aufenthalt haben (vgl. Rz. 203).
Rz. 124
Ein Unglücksfall ist ein plötzliches äußeres Ereignis, das eine erhebliche Gefahr jedenfalls für Personen oder Sachen mit sich bringt oder zu bringen droht (BSG, Urteil v. 25.1.1973, 2 RU 55/71). Strafrechtlich wird darunter ein plötzliches Ereignis verstanden, das einen Zustand herbeiführt, aufgrund dessen erhebliche Gefahr für ein Individualrechtsgut droht (vgl. auch Wohlers, in: Kindhäuser/Neumann/Paeffgen, NK-StGB, 2. Aufl. 2005, § 323c Rz. 4). Hierzu zählen auch Unfälle im Straßenverkehr oder drohende Gewalttaten. Die Hilfeleistung kann sich sowohl auf Personen als auch auf Sachgüter beziehen. Das BSG hat entschieden, dass ein Unglückfall nicht nur vorliegt, wenn eine erhebliche Gefahr für das Leben oder die körperliche Unversehrtheit eines Menschen besteht. Es reicht aus, dass eine erhebliche Gefahr für ein anderes wichtiges Individualrechtsgut, z. B. die individuelle Bewegungsfreiheit, eingetreten ist (Unglücksfall deshalb ja, wenn ein Kind auf einem Betriebsgelände eingeschlossen ist: so BSG, Urteil v. 15.6.2010, B 2 U 12/09 R).
Rz. 125
Unter "gemeiner Gefahr" wird eine Gefahr verstanden, die der Allgemeinheit droht, also eine beliebige Zahl von Personen oder Sachen betrifft. Eine gemeine Gefahr liegt vor, wenn aufgrund der objektiv gegebenen Umstände zu erwarten ist, dass ohne sofortiges Eingreifen eine erhebliche Schädigung von Personen oder bedeutenden Sachwerten eintreten wird (BSG, Urteil v. 27.3.2012, B 2 U 7/11 R; BSG, Urteil v. 13.9.2005, B 2 U 6/05 R). Das sind Naturgefahren (z. B. Unwetter, Feuer) aber auch von Menschen geschaffene allgemeine Gefahren (Bombendrohung, Explosionsgefahr, Brandstiftung, Ausfall der Strom- oder Wasserversorgung). Eine Gefahr für die Allgemeinheit besteht bereits dann, wenn sie in einem Bereich droht, der allgemein zugänglich ist, auch wenn nur einzelne Personen in diesen Bereich geraten oder gefährdet sind. Eine gemeine Gefahr sollen auch Verkehrshindernisse darstellen (quer zur Fahrbahn liegendes Kfz: BSG, Urteil v. 30.1.1986, 2 RU 19/84; auf der Standspur der Autobahn liegendes Kfz: BSG, Urteil v. 29.9.1992, 2 RU 44/91), wobei der Gefahrbegriff nicht zu sehr "privatisiert" werden darf. Allgemeine Gefährdungen des täglichen Lebens reichen nicht aus (Schnee auf dem Gehweg), denn das Handlungsgebot aus § 323c StGB setzt nicht schon bei alltäglichen Gefahrensituationen ein, deren Risiken die Betroffenen kennen und auf die sie sich einrichten können, sondern erst dann, wenn es aufgrund ungewöhnlicher Umstände zu einer nicht vorhersehbaren und ohne fremde Hilfe nicht beherrschbaren Gefahrenlage kommt, wenn also die Selbstschutzmöglichkeiten deutlich vermindert sind (BSG, Urteil v. 13.9.2005, B 2 U 6/05 R).
Rz. 126
Die "gemeine Not" meint eine Zwangslage von Menschen, die ein Eingreifen Dritter erfordern, da eine Selbsthilfe nicht möglich oder nicht ausreichend ist. Die Not kann die Folge einer allgemeinen Gefahr sein (Mangel an Lebensmitteln, Medikamenten usw.). Sie muss bereits eingetreten sein und noch andauern, anderenfalls kommt nur der Schutz wegen Hilfe bei gemeiner Gefahr in Betracht. Das Adjektiv "gemein", das im Versicherungstatbestand dem Merkmal Gefahr zugeordnet ist, bezieht sich nicht nur auf den Begriff der Gefahr, sondern auch auf denjenigen der Not. Jedenfalls versteht die ganz herrschende Auffassung im Strafrecht die Begriffe "gemeine Gefahr oder Not" i. R.d. § 323c StGB so, dass sich das Adjektiv "gemeine" auch auf das Tatbestandsmerkmal "Not" bezieht (Cramer/Sternberg-Lieben, in: Schönke/Schröder, StGB, 27. Aufl. 2006, § 323c Rz. 8; Fischer, StGB, 57. Aufl. 2010, § 323c Rz. 3d; Wohlers, in: Kindhäuser/Neumann/Paeffgen, NK-StGB, § 323c Rz. 8; Satzger/Schmitt/Widmaier, StGB, 1. Aufl. 2009, § 323c Rz. 10). Im Sinne ...