Rz. 19
Um Berufsausbildung handelt es sich dann, wenn
- in dem jeweiligen Zeitabschnitt
- für den angestrebten Beruf
- notwendige (nicht nur nützliche, wünschenswerte oder förderliche) Kenntnisse oder praktische Fertigkeiten
- von einer hierfür anerkannten qualifizierten Ausbildungsinstitution oder Ausbildungsperson
- in einem geordneten Verfahren
vermittelt werden (BSG, Urteil v. 18.6.2003, B 4 R 37/02 R)
Dazu gehört sowohl betriebliche wie auch überbetriebliche Unterrichtung, Ausbildung, Weiterbildung und Fortbildung, die dazu dient, die Fähigkeiten zu erlangen, die die Ausübung des zukünftigen Berufs ermöglichen (BSG, Urteil v. 23.8.1989, 10 RKg 12/88).
2.2.3.1 Beruf
Rz. 20
Der Begriff des Berufs ist ausgehend von der Rechtsprechung des BVerfG zu Art. 12 Abs. 1 GG weit auszulegen. Danach ist unter Beruf jede auf Erwerb gerichtete Tätigkeit zu verstehen, die auf Dauer angelegt ist und der Schaffung und Aufrechterhaltung einer Lebensgrundlage dient (Urteil v. 11.6.1958, 1 BvR 596/56; Urteil v. 28.3.2006, 1 BvR 1054/01). Der Begriff umfasst nicht nur alle Berufe, die sich in bestimmten, traditionell oder sogar rechtlich fixierten "Berufsbildern" darstellen, sondern auch die vom Einzelnen frei gewählten untypischen, erlaubten Betätigungen, aus denen sich dann wieder neue, feste Berufsbilder ergeben mögen. Auch solche Tätigkeiten, welche nach heutigen Vorstellungen der organisierten Gemeinschaft in erster Linie dem Staate vorbehalten bleiben müssen, sind in Art. 12 Abs. 1 jedenfalls in dem Sinn gemeint, dass auch sie vom Einzelnen als Beruf frei gewählt werden können und dass keinem ihre Wahl aufgezwungen oder verboten werden darf.
2.2.3.2 Regelungen zur Berufsausbildung
Rz. 21
Sind die zu erwerbenden Kenntnisse und Fähigkeiten für den angestrebten Beruf in einer Ausbildungsordnung oder einer Studienordnung festgelegt, so muss die Berufsausbildung sich daran orientieren (BSG, Urteil v. 23.2.1994, 10 RKg 18/93). Gibt es keine Ausbildungsordnung für den angestrebten Beruf, muss sich die Berufsausbildung an dem üblichen Gang der Ausbildung orientieren. In allen Fällen darf die Dauer der Ausbildung nicht im Belieben des Auszubildenden und des Ausbilders stehen.
2.2.3.3 Studium
Rz. 22
Der Besuch einer Fachhochschule oder einer Universität (Hochschule) führt zu einem berufsspezifischen oder zumindest berufsspartenspezifischen Abschluss und stellt daher eine Form der Berufsausbildung dar. Zur Ausbildung an einer Fachschule vgl. Rz. 15.
2.2.3.4 Praktikum
Rz. 23
Ob ein Praktikum zur Schul- oder Berufsausbildung gehört hängt davon ab, inwieweit es damit im Zusammenhang steht und welche Zielrichtung das Praktikum hat. Ist das Praktikum während der Schulzeit im Lehrplan vorgesehen, so ist es Teil der Schulausbildung. Ist das Praktikum in der Studienordnung vorgesehen, so gehört es zur Berufsausbildung. Gleiches gilt für ein Volontariat, wenn dieses Voraussetzung für den Berufseinstieg ist.
Rz. 24
Ein Vorpraktikum gehört nur dann zur Berufsausbildung, wenn es aufgrund vertraglicher Vereinbarung Teil des Ausbildungsverhältnisses ist. Erforderlich ist ferner, dass das Vorpraktikum als Teil der Berufsausbildung Ausbildungscharakter hat. Es müssen in erster Linie berufsspezifische Vorkenntnisse und Fertigkeiten vermittelt werden, auf die die Ausbildung in der vorgeschriebenen Ausbildungszeit entweder aufbaut oder die von der Ausbildungsstätte als notwendig oder zweckmäßig angesehen werden (BSG, Urteil v. 3.11.1987, 10 RKg 13/86).
Rz. 25
Ein Sprachkurs im Ausland kann Berufsausbildung sein, wenn er von einer dortigen Hochschule für die Zulassung zum angestrebten Studium vorgeschrieben ist (BSG, Urteil v. 22.6.1994, 10 RKg 30/93).
2.2.3.5 Berufliche Fort- und Weiterbildung
Rz. 26
Maßnahmen zur Fort- und Weiterbildung können nur dann (quasi entgegen dem Wortlaut der Bezeichnung) als Berufsausbildung interpretiert werden, wenn die Maßnahmen, z. B. ein Promotionsstudium (BSG, Urteil v. 14.2.1991, 10 RKg 2/90), zwingende Voraussetzung für die Berufsausübung sind. Unter dieser Voraussetzung ist auch die auf die Elementarstufe eines Berufs aufbauende Ausbildung für die nächsthöhere Stufe des Berufs jedenfalls dann Berufsausbildung, wenn diese zu der unteren Stufe hinreichend klar abgegrenzt ist (BSG, Urteil v. 30.3.1967, 12 RJ 590/63). Dient die Maßnahme hingegen der Erweiterung des beruflichen Wissens oder dazu, in dem ausgeübten Beruf auf dem Laufenden zu bleiben, den jeweiligen Anforderungen gerecht zu werden und so in dem ausgeübten Beruf besser vorwärts zu kommen, so handelt es sich nicht um Berufsausbildung (BSG, Urteil v. 26.6.1996, 10 RKg 16/94).
Rz. 26a
Der Anspruch auf (Halb-)Waisenrente aus der gesetzlichen Unfallversicherung ist nicht auf Erstausbildungen begrenzt. Das BSG (Urteil v. 7.5.2019, B 2 U 27/17) gelangt aufgrund eingehender Auslegung von § 67 Abs. 3 Satz 1 Nr. 2a zu diesem Ergebnis. Auch eine Zweitausbildung, ja sogar eine Dritt- oder Viertausbildung (z. B. Zweitstudium nach abgeschlossenem Erststudium) kann einen Anspruc...