2.1 Schwerverletzter
Rz. 3
Die Vorschrift verweist zwar nicht auf die Legaldefinition des Schwerverletztenbegriffs in § 57, es sind aber keine Gründe erkennbar, die das Gegenteil annehmen lassen. Die Schwerverletzteneigenschaft kann sich durch die Verschlimmerung der Folgen des Versicherungsfalls, für die der Versicherte abgefunden wurde, oder durch die Verschlimmerung bzw. die Folgen eines weiteren Versicherungsfalls allein ergeben. Den Versicherungsfällen aus der Unfallversicherung gleichgestellte Entschädigungsfälle nach § 56 Abs. 1 Satz 4 sind hingegen nicht zu berücksichtigen.
Rz. 4
Eine neue Feststellung der Rente kann hier abweichend von § 73 Abs. 3 auch vorgenommen werden, wenn sich die Folgen des Versicherungsfalls lediglich um 5 % verschlechtert haben und der Versicherte hierdurch Schwerverletzter wird. Dass hier zur Erreichung der Schwerverletzteneigenschaft keine wesentliche Verschlimmerung, d. h. eine Erhöhung der Minderung der Erwerbsfähigkeit (MdE) um 10 % vorliegen muss, wird schon durch die Tatsache verdeutlicht, dass der Gesetzgeber in § 76 Abs. 3 unter Bezugnahme auf § 73 Abs. 3 von einer wesentlichen Änderung spricht, während hier lediglich die Tatsache, dass der Versicherte Schwerverletzter wird, ausreicht. Dies ist auch aus sachlichen Gründen gerechtfertigt, um den Versicherten in den Genuss der mit der Schwerverletzteneigenschaft verbundenen wesentlichen Vorteile kommen zu lassen (vgl. BSG, Urteil v. 29.11.1973, 8/7 RU 62/71).
2.2 Wiederaufleben des Rentenanspruchs
Rz. 5
Das Wiederaufleben der abgefundenen Rente muss vom Versicherten beantragt werden. Eine Antragsfrist gibt es nicht, die Verjährung gem. § 45 Abs. 1 SGB I ist jedoch zu beachten. Der Antrag ist formlos möglich.
Rz. 6
Solange der Versicherte Schwerverletzter ist, wird er so gestellt, als ob seine Rente/n nicht abgefunden wäre/n. Im Gegensatz zu § 76 Abs. 3, der eine Verschlimmerung von mehr als 3 Monaten voraussetzt, verlangt § 77 nach seinem Wortlaut nicht, dass die Schwerverletzteneigenschaft mindestens für eine bestimmte Dauer bestehen muss. Ob die Schwerverletzteneigenschaft dennoch über eine bestimmte Mindestdauer hinweg bestehen muss, ist in Rechtsprechung und Literatur umstritten. Der befürwortende Teil ist der Auffassung, dass es Sinn und Zweck des Gesetzes gebietet, eine so gravierende und auf Dauer angelegte Rechtsfolge nur bei Erreichen einer Mindestdauer vorzusehen (Kranig, in: Hauck/Noftz, SGB VII, § 77 Rz. 3; Bereiter-Hahn/Mehrtens, SGB VII, § 77 Rz. 3; Merten, in: Eichenhofer/Wenner, SGB VII, § 77 Rz. 4; Ricke, in: KassKomm., SGB VII, § 77 Rz. 6). In welcher Höhe eine Mindestdauer anzunehmen ist, wird ebenfalls uneinheitlich beurteilt, wobei überwiegend davon ausgegangen wird, dass in Anlehnung an § 73 Abs. 3 eine Dauer von 3 Monaten ausreichend sein dürfte (so u. a. Bereiter-Hahn/Mehrtens, a. a. O.; Kranig, a. a. O.). Die ablehnende Auffassung wird damit begründet, dass es der Gesetzgeber offenbar nicht für geboten gehalten hat, eine Mindestdauer festzuschreiben; es sei nicht ersichtlich, aus welchen Gründen hier eine Analogie zwingend sein sollte (so Plum, in: Podzun, Der Unfallsachbearbeiter, 05/18, US 0640; Schmitt, SGB VII, § 77 Rz. 6; Burchardt, in: Brackmann, SGB VII, § 77 Rz. 8a; LSG Nordrhein-Westfalen, Urteil v. 7.7.1987, L 5 U 30/87). Die wiederaufgelebte Rente fällt daher nicht schon deshalb weg, weil der Versicherte nicht mehr Schwerverletzter ist (vgl. BSG, Urteil v. 8.9.1977, 2 RU 45/77).
Rz. 7
Die wiederaufgelebte Rente ist erst von dem Zeitpunkt an zu leisten, von dem ab der Versicherte mehrere Renten bezieht, die zusammen mindestens wegen einer MdE von wenigstens 50 % geleistet werden bzw. wegen eines Versicherungsfalls nach diesem Vomhundertsatz. Der Beginn des Wiederauflebens der Rente ist mithin vom Zeitpunkt der Antragstellung unabhängig. Angelehnt an das in § 73 Abs. 1 normierte Monatsprinzip, lebt die Rente nach allgemeiner Ansicht nach Ablauf des Monats wieder auf, in dem die Schwerbehinderteneigenschaft eingetreten ist.
2.3 Anrechnung der Abfindung
Rz. 8
Lebt die Rente wieder auf, ist der Rentenbetrag, der dem Versicherten vom Zeitpunkt der Abfindung bis zum Wiederaufleben der Rente zugestanden hätte, zu errechnen und von der seinerzeit gewährten Abfindungssumme in Abzug zu bringen. Bei dem zu ermittelnden Rentenbetrag sind zwischenzeitliche Rentenanpassungen nach § 95 nicht zu berücksichtigen. Der Unterschiedsbetrag ergibt den Anrechnungsbetrag auf die wiederaufgelebte Rente. Bezieht der Versicherte mehrere Renten, ist der Abfindungsbetrag aber nur auf die wiederaufgelebte Rente anzurechnen.
Rz. 9
Bei der Anrechnung der gewährten Abfindung ist dem Versicherten die aufgelebte Rente aber mindestens zur Hälfte zu belassen. Ob der Unfallversicherungsträger dem Versicherten die Rente um mehr als die Hälfte belässt, liegt in seinem Ermessen. Dass dieses Ermessen ausgeübt wurde, muss der Unfallversicherungsträger erkennen lassen und begründen.