Rz. 30
Beweiserleichterungen kommen in Betracht, wenn Eigentümlichkeiten des Sachverhalts dazu Anlass geben. Es handelt sich um Fallgestaltungen, die dem Begriff des Beweisnotstands zugeordnet werden können. Das BSG hat etwa bei psychischen Gesundheitsstörungen herabgesetzte Anforderungen an die Feststellung des Ursachenzusammenhangs gestellt (BSG, Urteil v. 5.8.1987, 9b RU 36/86). Dies bezog sich indes auf die spezielle Konstellation, dass während einer von der beklagten Berufsgenossenschaft veranlassten stationären Behandlung des Klägers eine psychisch bedingte Erkrankung einsetzte und die Frage zu beurteilen war, ob diese als mittelbare Folge des Arbeitsunfalls oder als unfallunabhängige Folge wunschbedingter Vorstellungen aufzufassen war. In der gleichen Entscheidung hat das BSG klargestellt, dass bei der Beweiswürdigung im Fall von Rentenneurosen ein strenger Maßstab anzulegen ist.
Rz. 30a
Eine Beweiserleichterung kommt ferner in Betracht, wenn durch eine unfallbedingte Erinnerungslücke des Verletzten ein Beweisnotstand eintritt oder der Versicherungsträger die zur Sachaufklärung erforderliche Leichenöffnung nicht veranlasst hat (BSG, Urteil v. 29.9.1965, 2 RU 61/60). Hingegen führt auch eine dem Unfallversicherungsträger anzulastende Beweisvereitelung nicht zur Umkehr der Beweislast (BSG, Urteil v. 27.5.1997, 2 RU 38/96). Das Gericht kann jedoch angesichts der konkreten Umstände des Einzelfalls an den Beweis weniger hohe Anforderungen stellen. Dies ist indes eine Frage der Beweiswürdigung, nicht des Beweismaßstabs.
Rz. 30b
Das Vorliegen der Voraussetzungen für Beweiserleichterungen prüft das BSG auch in solchen Fällen, in denen ein Versicherter an dem Arbeitsplatz, an dem er zuletzt versicherte Tätigkeiten verrichtet hatte, aus ungeklärten Umständen einen Gesundheitsschaden oder den Tod erleidet, falls keine konkret festgestellten Tatsachen Zweifel daran begründen, dass er auch noch zur Unfallzeit versichert gearbeitet hat. Das setzt jedoch voraus, dass der Betreffende den räumlichen Bereich, in dem er zuletzt die versicherte Tätigkeit verrichtet hat, nicht verlassen und er dort kurz zuvor versicherte Tätigkeiten verrichtet hat. Bei einem zeitlichen Abstand von 10 bis 15 Minuten (Urteil v. 26.10.2004, B 2 U 24/03 R) bzw. von 20 bis 30 Minuten (Urteil v. 4.9.2007, B 2 U 28/06 R) hat das BSG den Vollbeweis als erbracht angesehen, nicht aber bei einer Zeitdifferenz von 8 Stunden und mehr (BSG, Urteil v. 31.1.2012, B 2 U 2/11 R). Bei einer so erheblichen Zeitdifferenz kann auch nicht mehr zugrunde gelegt werden, dass der Betreffende bis zum Zeitpunkt des Unfallereignisses sich in dem räumlichen Bereich aufgehalten hat, wo er zuvor die versicherte Tätigkeit verrichtete.