Rz. 127
Der Weg von und nach dem Ort der Tätigkeit muss nicht vom häuslichen Bereich aus angetreten oder dorthin zurückgelegt werden. Wählt der Versicherte einen anderen Beginn- oder Endpunkt des Weges, so wird dieser auch als "dritter Ort" bezeichnet. Wege vom dritten Ort oder zum dritten Ort können unter folgenden Voraussetzungen versichert sein:
Rz. 128
Auf dem Weg hin zur versicherten Tätigkeit muss der Betreffende sich zuvor längere Zeit, mindestens 2 Stunden, an dem dritten Ort aufgehalten haben, damit dieser seine selbstständige Bedeutung als Ausgangspunkt des nach Abs. 2 Nr. 1 versicherten Weges erhält (BSG, Urteil v. 10.8.2021, B U 2/20 R; BSG, Urteil v. 5.7.2019, B 2 U 16/14 R; BSG, Urteil v. 5.5.1998, B 2 U 40/97 R). Zumindest muss feststellbar sein, dass er beabsichtigte, sich dort mindestens 2 Stunden lang aufzuhalten (BSG, Urteil v. 3.12.2002, B 2 U 19/02 R). Gleiches gilt für den Weg von der versicherten Tätigkeit zum dritten Ort. Der vorangehende Weg von der Wohnung zum dritten Ort bzw. vom dritten Ort zur Wohnung ist dann unversichert; denn er ist nicht durch die versicherte Tätigkeit geprägt, sondern durch die (privaten) Motive, die den Versicherten veranlasst haben, sich zum dritten Ort zu begeben und sich dort längere Zeit aufzuhalten. Geht oder fährt der Versicherte auf dem Weg zur versicherten Tätigkeit oder auf dem Nachhauseweg an einen bestimmten Ort und hält sich dort nur kürzere Zeit auf, so ist der gesamte Weg nach den bei einem Umweg oder Abweg maßgeblichen Kriterien (vgl. dazu Rz. 131 bis 135) zu beurteilen (BSG, Urteil v. 12.6.1990, 2 RU 31/89).
Rz. 129
Die frühere Rechtsprechung des BSG (Urteil v. 19.10.1982, 2 RU 7/81) hat bei der Beurteilung des Unfallversicherungsschutzes der Länge des Weges eine erhebliche Bedeutung, wenn auch nicht die allein entscheidende Bedeutung beigemessen. Der Weg vom dritten Ort müsse in einem angemessenen Verhältnis zum üblichen Weg nach bzw. vom Ort der versicherten Tätigkeit stehen. Diese Rechtsprechung hat das BSG aufgegeben (Urteil v. 30.1.2020, B 2 U 2/18 R; Urteil v. 10.8.2021, B 2 U 2/20 R). Entscheidend ist vielmehr, ob der Weg vom dritten Ort zur Arbeitsstätte wesentlich von der subjektiven Handlungstendenz geprägt ist, den Ort der Tätigkeit aufzusuchen und ob dies in den realen Gegebenheiten objektiv eine Stütze findet, d. h. objektivierbar ist. Die Wegeunfallversicherung setzt lediglich voraus, dass der Weg im inneren Zusammenhang mit der versicherten Tätigkeit steht und lässt bei den Hinwegen nach dem Ort der Tätigkeit den jeweiligen Startpunkt des versicherten unmittelbaren Weges ausdrücklich offen. Zudem ist zu berücksichtigen, dass für Wege, die ihren Ausgangs- bzw. Endpunkt nicht an einem dritten Ort, sondern im häuslichen Bereich des Versicherten haben, seit jeher keine Entfernungsgrenze gilt. Fand diese Bevorzugung des Weges "zwischen der Wohnung und dem Ort der Tätigkeit" im Wortlaut des § 550 Abs. 2 RVO noch einen gewissen Anhaltspunkt, so ist dieser mit dem Außerkrafttreten der Vorschrift zum 1.1.1997 entfallen (BSG, a. a. O.).
Rz. 130
Obwohl für den Aufenthalt am dritten Ort grundsätzlich eigenwirtschaftliche Motive maßgeblich sind, differenziert gerade die jüngere Rechtsprechung solche Betätigungen am dritten Ort, die sich jedenfalls positiv auf die Leistungsfähigkeit oder die Leistungsbereitschaft des Betreffenden auswirken, von anderen, gänzlich eigenwirtschaftlichen Zwecken. Die Ersteren sind jedenfalls mittelbar betriebsdienlich. So dient etwa ein Arztbesuch – obwohl unversichert – mittelbar der Erhaltung oder dem Wiedererlangen der Arbeitsfähigkeit (BSG, Urteil v. 2.5.2001, B 2 U 33/00 R). Hingegen sieht das BSG (Urteil v. 3.12.2002, B 2 U 18/02 R) Verrichtungen am dritten Ort, die lediglich der geistigen Anregung, Entspannung oder Aufrechterhaltung zwischenmenschlicher Beziehungen dienen sollen, nicht als betriebsdienlich an. Diese Rechtsprechung, die auf die Motivation abstellt, ist stark einzelfallbezogen und eröffnet eine neue Kasuistik.