Dauert zum Kündigungszeitpunkt eine Arbeitsunfähigkeit an und ist der Zeitpunkt der Wiederherstellung der Arbeitsfähigkeit objektiv nicht absehbar?
Prognosegrundlage
Streitig ist, ob die bisherige Dauer der Arbeitsunfähigkeit hier eine Rolle spielt. Denn der Schwerpunkt des Kündigungsgrunds liegt in den betrieblichen Beeinträchtigungen durch künftige lange Arbeitsunfähigkeit. Starre Grenzen für die bisherige Dauer gibt es nicht. Deshalb wird auch die Auffassung vertreten, eine Kündigung könne sogar dann ausgesprochen werden bevor der sechswöchige Entgeltfortzahlungszeitraum verstrichen sei, wenn eine negative Prognose vorliege. Dagegen spielt in der Rechtsprechung durchaus die bisherige Dauer der Arbeitsunfähigkeit eine Rolle. Von einer langandauernden Erkrankung, die einer Dauererkrankung gleichzustellen sei, ist nach dem Urteil des BAG auszugehen, wenn der Arbeitnehmer 1 ½ Jahre am Stück arbeitsunfähig und ein Ende der Erkrankung nicht abzusehen ist. Im Urteil des BAG wurden 8 Monate als für den Begriff der langandauernden Erkrankung ausreichend angesehen.
Im Zeitpunkt des Zugangs der Kündigung darf der Zeitpunkt der Wiederherstellung der Arbeitsfähigkeit objektiv nicht vorhersehbar sein. Es kommt dabei auf den wissenschaftlichen Erkenntnisstand im Zeitpunkt des Zugangs der Kündigung an. Neue, später entwickelte Behandlungsmethoden bleiben deshalb außer Betracht. Auch hier ist die subjektive Kenntnis des Arbeitgebers unerheblich.
Neuer Erkenntnisstand nach Zugang der Kündigung
Der Arzt des Arbeitnehmers wird von der Schweigepflicht entbunden und teilt dem Arbeitgeber vor Ausspruch der Kündigung eine nach damaligen wissenschaftlichen Erkenntnissen falsche negative Prognose mit.
Lösung
Die Kündigung ist unwirksam, eine negative Prognose lag objektiv bei Zugang der Kündigung nicht vor.
Wiederherstellung der Arbeitsfähigkeit nach Zugang der Kündigung
Spätere, nach Zugang der Kündigung eintretende neue Kausalverläufe ändern an der rechtlichen Bewertung der Wirksamkeit der Kündigung nichts, können allerdings einen Wiedereinstellungsanspruch begründen.
Für die Frage, ob der Zeitpunkt der Wiederherstellung der Arbeitsfähigkeit objektiv nicht vorhersehbar ist, genügt es nach der Entscheidung des BAG vom 29.4.1999, wenn in den nächsten 24 Monaten nicht mit einer Prognose zu rechnen ist, die auf eine Arbeitsfähigkeit schließen lässt. Begründet wird dies damit, dass der Arbeitgeber in der Lage sei, für diesen Zeitraum ohne sachlichen Grund eine Ersatzkraft mit einem befristeten Arbeitsvertrag einzustellen.
Sprechen dagegen zum Kündigungszeitpunkt objektive Umstände dafür, dass die Arbeitsunfähigkeit von absehbarer Dauer sein wird, fehlt die Negativprognose.
Darlegungs- und Beweislast im Kündigungsschutzprozess
Im Kündigungsschutzprozess braucht der Arbeitgeber zunächst nur vorzutragen, wie lange der Arbeitnehmer arbeitsunfähig erkrankt und dass ein Ende der Arbeitsunfähigkeit unabsehbar ist. Zudem muss er für die zweite Stufe unzumutbare betriebliche Störungen darlegen. Im Hinblick auf die Zukunftsprognose bedarf es regelmäßig eines ärztlichen Krankheitsbefundes. Da der Arbeitgeber hierzu regelmäßig keine Informationen hat, wird allenfalls der Dauer der bisherigen Arbeitsunfähigkeit eine gewisse Indizwirkung zukommen.
Will der Arbeitnehmer die negative Prognose bestreiten, muss er darlegen, warum bei ihm in absehbarer Zukunft mit einer Gesundung zu rechnen ist. Hierzu kann und wird er in aller Regel seinen Arzt von der Schweigepflicht entbinden. Ein solches Vorgehen reicht aber nur aus, wenn er gleichzeitig vorträgt, die Ärzte hätten die gesundheitliche Entwicklung positiv beurteilt. Erklärt sich der Arbeitnehmer nicht, gilt die Behauptung des Arbeitgebers, es sei in absehbarer Zeit nicht mit einer Gesundung zu rechnen, nach § 138 Abs. 3 ZPO als zugestanden.
Der Arbeitgeber trägt die Behauptungs- und Beweislast im Kündigungsschutzprozess, dass die Prognose negativ ist. Deshalb wird er sich im Fall der Entbindung von der Schweigepflicht auf den Arzt des Klägers berufen bzw. ein ärztliches Sachverständigengutachten beantragen.