Entscheidungsstichwort (Thema)
Nachwirkung einer zwischenzeitlich gekündigten Betriebsvereinbarung über die Gewährung von Zuschüssen für die Fahrt zwischen Wohnung und Arbeitsstätte
Leitsatz (amtlich)
In teilmitbestimmten Betriebsvereinbarungen über freiwillige Geldleistungen steht es den Betriebspartnern frei, eine Nachwirkung auch über den ansonsten mitbestimmungsfreien Dotierungsrahmen zu vereinbaren. Eine solche Nachwirkung muss aber unmissverständlich erklärt werden.(Anschluss an BAG 28. April 1998 - 1 ABR 43/97 und BAG 21. August 2001 - 3 ABR 44/00)
Normenkette
BetrVG § 77 Abs. 6
Verfahrensgang
ArbG Ulm (Entscheidung vom 01.12.2016; Aktenzeichen 2 Ca 278/16) |
Tenor
- Die Berufung der Klägerin gegen das Urteil des Arbeitsgericht Ulm vom 1.12.2016 (2 Ca 278/16) wird zurückgewiesen.
- Die Klägerin hat die Kosten der Berufung zu tragen.
- Die Revision wird nicht zugelassen.
Tatbestand
Die Parteien streiten über die (Fort-)Gewährung von Fahrtkostenerstattungen.
Die Beklagte ist die regionale Gliederung der Gewerkschaft X. für den Bezirk Südwürttemberg. Die Beklagte sowie die weiteren regionalen Gliederungen der X. und deren Landesverband führen einen Gemeinschaftsbetrieb, für den ein Betriebsrat gebildet ist.
Die Klägerin ist bei der Beklagten beschäftigt seit 1. September 1998 als Sekretärin auf der Grundlage eines schriftlichen Arbeitsvertrages vom 6. August 1998 (Bl. 5 und 6 d. ArbG-Akte), der ua. auf die Allgemeinen Anstellungsbedingungen des DGB Bezug nimmt.
Die Klägerin erhielt bis letztmalig März 2016 von der Beklagten monatlich ein "Fahrgeld" bezahlt, welches sich zuletzt aufteilte in 11,00 € (pauschalversteuert) und 71,82 € (steuer- und sozialversicherungspflichtig) (Abrechnung, Bl. 7 d. ArbG-Akte). Die Steuerlast trug die Beklagte. Der sich hieraus ergebende Nettobetrag von 48,00 € entsprach dem monatlichem Preis eines Jahresabos der D.... GmbH. Grundlage dieser Zahlung war eine zwischen der Beklagten, den weiteren Bezirken und dem Landesverband der X. mit deren Betriebsrat geschlossenen Betriebsvereinbarung Nr. 9 vom 1. März 2003 (Fahrtkostenzuschuss) (Bl. 8 d. ArbG-Akte) (nachfolgend: BV Nr. 9), in welcher es wie folgt heißt:
"Zwischen
...
und
dem Betriebsrat
wird auf der Grundlage des Betriebsverfassungsgesetzes in seiner jeweils gültigen Fassung folgende Betriebsvereinbarung geschlossen:
1. Die Beschäftigten erhalten für die Fahrt zwischen Wohnung und Arbeitsstätte die kostengünstigste Zeitkarte für die Benutzung öffentlicher Verkehrsmittel bis zum jeweiligen Höchstpreis einer Monats-/Jahreskarte der entsprechenden Verkehrsverbünde F., K. , S. und U. erstattet.
Die Erstattung der Kosten für öffentliche Verkehrsmittel ist steuer- und sozialversicherungsfrei. Bei PKW-Benutzung hingegen entsteht Steuer- und Sozialversicherungspflicht.
Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer, die einen Fahrtkostenzuschuss für die Fahrt mit dem Pkw erhalten, können zwischen folgenden Varianten wählen:
- Der Zuschuss wird als Bruttobestandteil behandelt und unterliegt der vollen Steuer- und Sozialversicherungspflicht.
- Der Zuschuss wird mit dem jeweils geltenden Pauschalsatz versteuert. Den Steueranteil trägt der Arbeitgeber.
- Der Zuschuss wird mit dem jeweils geltenden Pauschalsatz versteuert. Der Arbeitnehmer, die Arbeitnehmerin trägt die Pauschalsteuer selbst.
Die einmal getroffene Entscheidung des Arbeitnehmers/der Arbeitnehmerin ist unwiderruflich.
2. Beschäftigte, deren tatsächliche Aufwendungen am 1. Januar 1984 über diesen Höchstbetrag lagen, erhalten weiterhin Besitzstandswahrung nach dem Stand vom 1.1.1984.
Diese Betriebsvereinbarung kann von jeder Seite mit einer Frist von drei Monaten zum Schluss des Kalendervierteljahres gekündigt werden. Für diesen Fall gilt die Nachwirkung bis zum Abschluss einer neuen Betriebsvereinbarung."
Mit Schreiben des Landesverbandes vom 7. Oktober 2004 (Bl. 10 d. ArbG-Akte) wurde dem Betriebsrat folgendes mitgeteilt:
"Liebe Kolleginnen,
lieber M.,
die Personalkommission hat am 5. Oktober 2004 beschlossen, die Betriebsvereinbarung Nr. 9 zum Fahrtkostenzuschuss fristgerecht zum 31. März 2005 zu kündigen.
Mit diesem Beschluss verfolgen wir nicht, die freiwilligen Sozialleistungen der X. einzuschränken, sondern möchten, dass gesetzlich beschlossene steuerliche Änderungen nicht vom Arbeitgeber getragen werden.
Wir schlagen als Neufassung die als Anlage beigefügte Formulierung vor und möchten den Sachverhalt in unserem nächsten Gespräch am 15. November 2004 behandeln."
Mit Schreiben vom 29. Oktober 2015 erklärten alle Vertragspartner der BV Nr. 9 auf Arbeitgeberseite gegenüber dem Betriebsrat:
"... haben beschlossen, ab 1. April 2016 keine Mittel mehr für Fahrtkostenzuschüsse, sei es für die Nutzung öffentlicher Verkehrsmittel, sei es ein Zuschuss für die Fahrten zwischen Wohnung und Arbeitsstätte mit dem PKW, zur Verfügung stellen, egal auf welcher Rechtsgrundlage und in welcher Höhe diese Zuschüsse bisher bezahlt wurden.
Deshalb kündigen wir vorsorglich erneut zum 31. März 2016 die Betriebsvereinbarung Nr. 9 (Fahrt...