Entscheidungsstichwort (Thema)
Veröffentlichung von Patientenbildern im Internet. Abmahnungserfordernis bei verhaltensbedingter Kündigung. Unbegründete außerordentliche Kündigung einer Kinderkrankenpflegerin wegen Verbreitung von Abbildungen eines Neugeborenen auf der Internetseite eines sozialen Netzwerks
Leitsatz (redaktionell)
1. Beruht die Vertragspflichtverletzung auf einem steuerbaren Verhalten der Arbeitnehmerin, ist grundsätzlich davon auszugehen, dass ihr künftiges Verhalten schon durch die Androhung für den Bestand des Arbeitsverhältnisses positiv beeinflusst werden kann; eine außerordentliche (oder ordentliche) Kündigung wegen einer Vertragspflichtverletzung setzt deshalb regelmäßig eine Abmahnung voraus, die nur dann nicht erforderlich ist, wenn bereits von vornherein erkennbar ist, dass eine Verhaltensänderung in Zukunft auch nach Abmahnung nicht zu erwarten ist oder es sich um eine so schwere Pflichtverletzung handelt, dass selbst deren erstmalige Hinnahme der Arbeitgeberin nach objektiven Umständen unzumutbar und damit offensichtlich und auch für die Arbeitnehmerin erkennbar ausgeschlossen ist.
2. Verbreitet eine als Gesundheits- und Kinderkrankenpflegerin auf der Kinderintensivstation eines Krankenhauses beschäftigte Arbeitnehmerin ungenehmigt Bilder eines ihr anvertrauten Neugeborenen in einem sozialen Netzwerk, verstößt sie damit in erheblicher Weise gegen ihre arbeitsvertragliche und gesetzliche Schweigepflicht nach § 203 StGB und § 5 BDSG.
3. Erfolgt die Veröffentlichung von Bildern eines Neugeborenen im Hinblick auf eine besondere Beziehung der Arbeitnehmerin zu dem Patienten, ohne dass es zu einer schwerwiegenden Verletzung der Persönlichkeitsrechte oder zu einer Beeinträchtigung der Belange der Arbeitgeberin kommt, und löscht die Arbeitnehmerin die Bilder unmittelbar nach den ersten Vorhaltungen der Arbeitgeberin, ist es nicht offensichtlich und für die Arbeitnehmerin erkennbar, dass eine Fortsetzung des Arbeitsverhältnisses für die Arbeitgeberin objektiv ausgeschlossen ist; eine Abmahnung ist deshalb im Einzelfall nicht entbehrlich.
Normenkette
BGB §§ 626, 314 Abs. 2 S. 1, § 626 Abs. 1; KSchG § 1 Abs. 2 S. 1 Alt. 2, § 9 Abs. 1 S. 3; StGB § 203; BDSG § 5
Verfahrensgang
ArbG Berlin (Entscheidung vom 29.10.2013; Aktenzeichen 57 Ca 8720/13) |
Tenor
I. Die Berufung der Beklagten gegen das Urteil des Arbeitsgerichts Berlin vom 29.10.2013 - 57 Ca 8720/13 - wird unter Einschluss des zweitinstanzlichen Auflösungsantrags zurückgewiesen.
II. Die Beklagte hat die Kosten des Berufungsverfahrens zu tragen.
III. Die Revision wird nicht zugelassen.
Tatbestand
Die Parteien streiten über die Wirksamkeit einer außerordentlichen, hilfsweise ordentlichen Kündigung des Arbeitsverhältnisses sowie über einen Auflösungsantrag der Beklagten. Die Beklagte wirft der Klägerin u.a. vor, zu Unrecht Fotografien eines Patienten auf ihr privates Facebook-Profil gestellt und kommentiert zu haben.
Die Beklagte, ein kommunaler Krankenhausbetreiber, beschäftigte die am ....1984 geborene Klägerin, die keine Unterhaltspflichten hat, seit dem 01.05.2009 als Gesundheits- und Kinderkrankenpflegerin und setzte sie zuletzt auf der Station der Kinder- und Jugendmedizin im Krankenhaus N. gegen ein monatliches Bruttoentgelt von 2.750,05 EUR ein. Die Klägerin unterzeichnete am 28.04.2009 eine Niederschrift über die Schweigepflicht nach § 9 BAT (Bl. 90 d.A.) sowie eine Niederschrift über die Verpflichtung zur datenschutzrechtlichen Geheimhaltung nach § 5 des Bundesdatenschutzgesetzes (Bl. 93 d.A.); sie erhielt ferner ein "Merkblatt über die Schweigepflicht in der V. GmbH" (Bl. 91 f. d.A.).
Die Klägerin betreute auf der Kinderintensivstation u.a. den am 03.02.2013 geborenen und am 09.05.2013 verstorbenen G.B., dessen Zwillingsschwester kurz nach der Geburt verstorben war und dessen Mutter sich von ihm losgesagt hatte. Sie veröffentlichte auf der Startseite ihres Facebook-Auftritts u.a. eine Fotografie von sich und G. sowie für alle oder einen Teil ihrer so genannten "Facebook-Freunde" aufrufbare weitere Fotografien, auf denen G. allein oder gemeinsam mit ihr zu erkennen war. Die weiteren Fotografien waren jedenfalls am 10., 21.04., 09., 20., 21. und 22.05.2013 zu sehen und von der Klägerin teilweise mit "So ist Arbeit doch schön", "Kuschelstunde - ich freue mich" und "Rip kleines engelchen, flieg schön mit deiner schwester durch die wolken und sei ein schutzengel für die ganzen anderen pupsis. Du bist ein tapferer kleiner mann, dicken knutscher" kommentiert worden. Wegen der Einzelheiten der Fotografien wird auf Bl. 94 bis 103 d.A. verwiesen.
Die Beklagte teilte der Klägerin durch Schreiben vom 23.05.2013 (Bl. 104 f. d.A.) mit, es bestehe wegen der genannten Fotografien der dringende Verdacht schwerwiegender Vertragspflichtverletzungen und bat sie, zu einer Anhörung zu erscheinen. Sie stellte die Klägerin mit Schreiben vom 24.05.2013 von ihrer Verpflichtung zur Arbeitsleistung frei.
Die Klägerin entfernte unmittelbar nach Erhalt des Schreibens vo...