Entscheidungsstichwort (Thema)
Anspruch auf immateriellen Schadensersatz wegen behaupteter Benachteiligung wegen seiner Behinderung im Zusammenhang mit einer erfolglosen Bewerbung auf eine Stelle als Scrum Master/Agile Coach
Leitsatz (amtlich)
1. Geht eine Klageschrift fristgerecht auf dem Justiz-Intermediär des Landes NRW per De-Mail ein, wird dann aber wegen einer nicht mehr aufklärbaren, fehlerhaften automatischen Vordatierung um ein Jahr erst exakt ein Jahr später an das angerufene Arbeitsgericht weitergeleitet, ist die Klage gleichwohl fristgerecht eingegangen. Es gilt das dem Absender mit automatischer Empfangsbestätigung attestierte Eingangsdatum.
2. Übermittelt der private Arbeitgeber zwar eine Stellenanzeige der Bundesagentur für Arbeit und lässt diese auf der dortigen Jobbörse veröffentlichen, erteilt jedoch keinen betreuten Vermittlungsauftrag an die nach § 187 Abs. 4 SGB IX eingerichtete besondere Stelle der Bundesagentur, verstößt er gegen die Verpflichtungen aus § 164 Abs. 1 Satz 2 SGB IX. Insoweit gelten die gleichen Grundsätze wie bei öffentlichen Arbeitgebern. Der Verstoß löst die Vermutungswirkung einer Benachteiligung wegen der Behinderung nach § 22 AGG aus.
3. Der Arbeitgeber kann die Vermutung einer Benachteiligung eines abgelehnten schwerbehinderten Bewerbers unter anderem durch den Beweis, dass das Stellenbesetzungsverfahren zum Zeitpunkt des Eingangs der Bewerbung des abgelehnten Schwerbehinderten bereits beendet war, widerlegen. Denn ist ein Bewerbungsverfahren beendet, bevor die Bewerbung eines Schwerbehinderten eingeht, kann dieser nicht mehr kausal durch die bereits zeitlich früher getroffene Auswahlentscheidung wegen der Behinderung benachteiligt worden sein.
4. Das Stellenbesetzungsverfahren ist beendet, wenn die finale Besetzungsentscheidung durch den Arbeitgeber getroffen wurde. Die interne, aber endgültige Entscheidung ist maßgeblich, ihr Zeitpunkt ist durch den Arbeitgeber ggfs. zu beweisen. Die Kommunikation nach außen sowie die nachfolgende Vertragsausfertigung und -unterzeichnung betreffen nur noch Umsetzungsakte.
Normenkette
AGG §§ 1, 3,7,15 Abs. 2, § 3,7,15 Abs. 4, § 22; ArbGG § 46c Abs. 5, § 61b Abs. 1; ZPO § 130a Abs. 5, § 167; SGB IX § 164 Abs. 1, § 187 Abs. 4; AGG § 15 Abs. 2, §§ 3, 7
Verfahrensgang
ArbG Essen (Entscheidung vom 26.07.2022; Aktenzeichen 2 Ca 241/22) |
Tenor
I. Die Berufung des Klägers gegen das Urteil des Arbeitsgerichts Essen vom 26.07.2022 - Az.: 2 Ca 241/22 - wird zurückgewiesen.
II. Der Kläger trägt die Kosten des Berufungsverfahrens.
III. Die Revision wird zugelassen.
Tatbestand
Die Parteien streiten über einen Anspruch des Klägers auf immateriellen Schadensersatz wegen behaupteter Benachteiligung wegen seiner Behinderung im Zusammenhang mit einer erfolglosen Bewerbung im August 2021 auf eine Stelle als Scrum Master/Agile Coach.
Der zum damaligen Zeitpunkt 56 Jahre alte, mit einem GdB von 80 schwerbehinderte Kläger bewarb sich mit Schreiben vom 23.08.2021 (Blatt 29 der Akte) auf die von der Beklagten im Internet ausgeschriebene Stelle als "Scrum Master/Agile Coach"; wegen des Inhalts der Stellenausschreibung, die jedenfalls bis 03.09.2021 online war, wird auf Blatt 27 f. der Akte Bezug genommen. In der Bewerbung wies der Kläger unter anderem auch auf seine Schwerbehinderung hin. Die Bewerbung ist der Beklagten am 24.08.2021 per elektronischer Übertragung zugegangen. Der Kläger erhielt hierüber eine elektronische, automatische Eingangsbestätigung unter dem 24.08.2021, 12:30 Uhr (Blatt 499 der Akte).
Mit Email vom 03.09.2021 (Blatt 30 der Akte) erhielt er von der Beklagten eine Absage.
Die Stelle war von der Beklagten an den Bewerber Herrn X. zu einem Bruttomonatsentgelt von 5.835,- € vergeben worden. Dieser erhielt am 24.08.2021 um 15:39 Uhr per Email von der HR-Mitarbeiterin Frau L. der Beklagten die Nachricht, dass sie sich freue, ihm einen Vertragsentwurf zukommen lassen zu können. Das Original würden ihre Kolleginnen in Essen im Laufe der Woche unterschreiben und ihm dann per Post zusenden. Am selben Tag um 16:01 Uhr antwortete Herr X., das passe perfekt, er lese sich den Vertrag am Abend durch und wenn er noch Fragen habe, melde er sich. Am 26.08.2021 teilte Herr X. Frau L. per Email mit, er habe alles durchgelesen und es passe alles, er freue sich auf den Vertrag und den Start bei der Beklagten. Wegen der Einzelheitein des Email-Verkehrs wird im Übrigen auf die Anlage B4 (Blatt 413 ff. der Akte) Bezug genommen. Ein von beiden Parteien unterzeichneter Arbeitsvertrag zur Einstellung von Herrn X. ging der Beklagten frühestens am 03.09.2021 zu.
Mit Schreiben vom 06.10.2021, wegen dessen Inhalts auf Blatt 31 ff. der Akte Bezug genommen wird, machte der Kläger gegenüber der Beklagten einen Entschädigungsanspruch nach § 15 Abs. 2 AGG wegen Benachteiligung aufgrund seiner Schwerbehinderung geltend.
Mit anwaltlichem Schreiben vom 13.10.2021 lehnte die Beklagte eine Entschädigungszahlung ab (Blatt 35 f. der Akte).
Daraufhin hat der Kläger seinen Anspruch mit Klages...