Entscheidungsstichwort (Thema)
Anspruch einer Praktikantin in einer Reitanlage auf Zahlung des Mindestlohns
Leitsatz (amtlich)
Allein der Umstand, dass der Praktikant sich bei Ausübung einer bestimmten betrieblichen Tätigkeit in die - auch arbeitszeitmäßige - Organisation eines Betriebes eingliedern muss, spricht nicht gegen die Annahme eines Orientierungspraktikums. Zum Erwerb praktischer Kenntnisse und Erfahrungen gehört auch, die beruflich anfallenden Tätigkeiten nicht nur sporadisch, sondern durchaus auch arbeitstäglich unter Einhaltung vorgegebener Arbeitszeiten kennen zu lernen. Entscheidend dafür, ob "noch" ein Orientierungspraktikum oder "schon" ein Arbeitsverhältnis vorliegt, dürfte die Beantwortung der Frage sein, ob der Praktikant eingesetzt wird, damit er sich ein Bild von der angestrebten beruflichen Tätigkeit machen kann, oder um einen ansonsten fehlenden Arbeitnehmer zu ersetzen. Die zulässige Dauer von drei Monaten ist nicht überschritten, wenn die Parteien mehrere Zeitabschnitte vereinbaren, die die Dauer von drei Monaten nicht überschreiten. Das gilt jedenfalls dann, wenn die Vereinbarung auf Wunsch und im Interesse des Praktikanten erfolgt. Der Zeitraum der Unterbrechung ist bei der Berechnung des Dreimonatszeitraums sodann nicht zu berücksichtigen mit der Folge, dass nicht bereits nach Ablauf von drei Kalendermonaten eine Zahlungspflicht entsteht.
Normenkette
BGB § 611
Verfahrensgang
ArbG Mönchengladbach (Entscheidung vom 13.10.2016; Aktenzeichen 6 Ca 1390/16) |
Nachgehend
Tenor
I.
Auf die Berufung der Beklagten wird das Urteil des Arbeitsgerichts Mönchengladbach vom 13.10.2016, 6 Ca 1390/16, abgeändert:
Die Klage wird abgewiesen.
II.
Die Kosten des Rechtsstreits hat die Klägerin zu tragen.
III.
Die Revision wird zugelassen.
Tatbestand
Mit ihrer Klage begehrt die Klägerin die Verurteilung der Beklagten zur Zahlung von Mindestlohn für die Zeit eines von ihr bei der Beklagten geleisteten Praktikums.
Die Klägerin hat sich bei der Beklagten, die eine auf den Dressursport ausgerichtete Reitanlage betreibt, um eine Praktikumsstelle beworben. Mit Email vom 04.09.2015 mit dem Betreff "Ausbildung Pferdewirt" bestätigte die Klägerin der Beklagten, dass sie das dreimonatige Praktikum - wie am Telefon besprochen - im Oktober annehmen möchte. Nachdem die Klägerin zunächst ausdrücklich bestritten hat, dass das Praktikum dazu dienen sollte, zu eruieren, ob ihr Berufswunsch dem Tätigkeitsfeld einer Pferdewirtin entsprechen könnte, hat sie mit Schriftsatz vom 14.09.2015 unstreitig gestellt, dass das Praktikum zu dem Zweck absolviert werden sollte, festzustellen, ob sie möglicherweise eine Ausbildung zur Pferdewirtin bei der Beklagten aufnimmt.
Am 05.10.2015 hat die Klägerin bei der Beklagten einen Probetag absolviert und am 06.10.2015 mit dem Praktikum begonnen. Bis zum 25.01.2016, der nach Vortrag der Klägerin allerdings ihr freier Tag war, war sie sodann - mit zeitlichen Unterbrechungen - in der Reitanlage der Beklagten tätig.
Unstreitig hat die Klägerin sich während ihres Praktikums morgens daran beteiligt, die Pferde, die geritten werden mussten, vorzubereiten, das heißt zu putzen und zu satteln, Pferde auf ein Laufband zu stellen sowie Pferde zur Weide zu bringen und dort wieder abzuholen und die Pferde zu füttern. Außerdem hat sie bei der Stallpflege geholfen. Nach Angaben der Klägerin auf S. 4 und 5 ihres Schriftsatzes vom 04.09.2017 (Bl. 190 bis 191 der Akte) haben sich ihre Aufgaben im zweiten und dritten Monat des Praktikums erweitert. Im Einzelnen sind die Tätigkeiten, die die Klägerin während des Praktikums erbracht hat, und insbesondere deren zeitlicher Umfang zwischen den Parteien streitig.
Die Klägerin hat in der Reitanlage unentgeltlich gewohnt. Die Beklagte hat der Klägerin für die Dauer des Praktikums ihr Büro, in dem sie ein Bett für die Klägerin aufgestellt hat, als Wohnraum zur Verfügung gestellt. Eine Vergütung ist von der Beklagten nicht gezahlt worden.
In der Zeit vom 03.11. bis zum 06.11.2015 war die Klägerin arbeitsunfähig erkrankt.
In der Zeit vom 20.12.2015 bis zum 25.01.2016 war die Klägerin nicht auf der Reitanlage anwesend. Sie hat zunächst einen bereits vor Antritt des Praktikums mit der Familie geplanten Familienurlaub angetreten, was sie vor Antritt des Praktikums mit der Beklagten abgesprochen hatte. Da sie in der ersten Januarwoche 2016 bei anderen Arbeitgebern Probearbeitstage absolvieren wollte, teilte sie der Beklagten mit SMS vom 26.12.2015 Folgendes mit:
"Sehr geehrte Frau I.,
ich habe die Möglichkeit in der ersten Januarwoche auf verschiedenen Dressurhöfen einen Probearbeitstag zu absolvieren, aus diesem Grund würde ich erst wieder am 12. Januar mein Praktikum fortsetzen. Sollte das für Sie nicht in Ordnung sein, werde ich bereits am 5. Januar zurückkommen und einen anderen Zeitpunkt im Januar für den Probetag vereinbaren. Ich wünsche Ihnen einen schönen Jahreswechsel und freue mich auf die weitere Zusammenarbeit.
Mit liebe...