Entscheidungsstichwort (Thema)
Auslegung einer tariflichen Bezugnahmeklausel. Vertrauensschutz nach Rechtsprechungsänderung. Dynamische Bezugnahme auf räumlich nicht „einschlägigen” Tarifvertrag
Leitsatz (amtlich)
1. § 613 a Abs. 1 S. 2 BGB findet keine Anwendung, wenn ein Arbeitsverhältnis nicht dem räumlichen Geltungsbereich eines Tarifvertrages unterfällt.
2. Vertrauensschutz für die frühere Rechtsprechung des BAG zur Auslegung dynamischer Bezugnahmeklauseln als Gleichstellungsabrede kann nur insoweit gewährt werden, als das BAG angenommen hat, die so auszulegende Bezugnahmeklausel ersetze die etwa fehlende Tarifgebundenheit des Arbeitnehmers.
3. Für die Entscheidung des BAG vom 21.08.2002 (AP Nr. 21 zu § 157 BGB), nach der die Vereinbarung einer dynamischen Bezugnahme auf Tarifverträge, deren räumlichem Geltungsbereich das Arbeitsverhältnis nicht unterfällt, als Gleichstellungsabrede auszulegen sei mit der Folge, dass der nicht tarifgebundene Betriebserwerber an die Dynamik nicht gebunden sei, kann Vertrauensschutz nicht gewährt werden.
Leitsatz (redaktionell)
1. Die Gewährung von Vertrauensschutz in eine aufgegebene höchstrichterliche Rechtsprechung setzt voraus, dass die Partei in die Fortgeltung der bisherigen Rechtsprechung vertrauen durfte. Diese Voraussetzung ist bei einer einzelnen höchstrichterlichen Entscheidung nicht erfüllt.
2. Die Gewährung von Vertrauensschutz in die frühere Rechtsprechung des 4. Senats des BAG zur Auslegung dynamischer Bezugnahmeklauseln als Gleichstellungsabrede setzt voraus, dass der Arbeitgeber tarifgebunden war.
Normenkette
BGB § 613a Abs. 1 Sätze 1-2; TVG § 4 Abs. 1, § 3 Abs. 1
Verfahrensgang
ArbG Düsseldorf (Urteil vom 17.10.2007; Aktenzeichen 4 Ca 5278/07) |
Tenor
1. Das Urteil des Arbeitsgerichts Düsseldorf vom 17.10.2007 – 4 Ca 5278/07 – wird abgeändert. Die Beklagte wird verurteilt,
- an den Kläger 400,00 EUR brutto nebst Zinsen in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz ab dem 01.06.2007 zu zahlen;
- an den Kläger 117,00 EUR brutto nebst Zinsen in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz ab dem 01.07.2007 zu zahlen;
- an den Kläger 117,00 EUR brutto nebst Zinsen in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz ab dem 01.08.2007 zu zahlen.
Es wird festgestellt, dass die Beklagte verpflichtet ist, die Gehaltstarifverträge bzw. Entgelttarifverträge für die Hessische Metallindustrie in der jeweils gültigen Fassung auf das Arbeitsverhältnis anzuwenden.
2. Die Kosten des Rechtsstreits trägt die Beklagte.
3. Die Revision wird zugelassen.
Tatbestand
Die Parteien streiten darüber, ob die Beklagte dem Kläger die Vergütung nach den Entgelttarifverträgen für die Hessische Metallindustrie in ihrer jeweiligen Fassung zu zahlen hat.
Der Kläger ist Mitglied der IG Metall. Er wurde zum 01.05.1995 von der I. AG eingestellt.
Nach dem Arbeitsvertrag vom 18.04.1995 ist u. a. Folgendes vereinbart:
„1. Sie treten am 1. Mai 1995 als Service-Techniker für den Geschäftsbereich Haus- und Gebäudeautomation, Abteilung Technischer Gebäudeservice, Niederlassung F., in unser Unternehmen ein. Ihr ständiger Einsatzort ist das Stadtgebiet L. (Uni L., Sparkasse L., Schulzentrum X., T.).
2. Als Vergütung für Ihre Tätigkeit, die nach Tarifgruppe T 3 bewertet wird, zahlen wir Ihnen ein monatliches Bruttogehalt, das sich gemäß dem derzeit gültigen Manteltarifvertrag der Hessischen Metallindustrie wie folgt zusammensetzt:
Grundgehalt: …
Freiwillige, jederzeit widerrufliche übertarifliche Zulage: …
Bruttogehalt: …
… 7. Alle weiteren, das Arbeitsverhältnis betreffenden Punkte richten sich nach den jeweils gültigen Tarifbestimmungen für die Hessische Metallindustrie, der Arbeitsordnung sowie der sonstigen Betriebsvereinbarungen.”
Die I. AG änderte ihre Gesellschaftsform in eine GmbH. Sie hatte zurzeit der Einstellung des Klägers ihren Sitz in Hessen und war Mitglied des Verbandes der Metall- und Elektro-Unternehmen Hessen. Auch die I. GmbH hat ihren Sitz in Hessen und ist Mitglied des Verbandes der Metall- und Elektro-Unternehmen Hessen. Dieser Arbeitgeberverband schließt mit der IG Metall Tarifverträge für alle Betriebe der Eisen-, Metall- und Elektroindustrie ab. In räumlicher Hinsicht gelten die Tarifverträge für das Land Hessen.
Mit Schreiben vom 16.03.2007 unterrichtete die I. GmbH den Kläger darüber, dass sein Arbeitsverhältnis zum 01.04.2007 nach Maßgabe von § 613 a Abs. 1 BGB auf die Beklagte übergehe. Die Beklagte ist nicht Mitglied eines Arbeitgeberverbandes.
Im Mai 2007 vereinbarten der Verband der Metall- und Elektro-Unternehmen Hessen und die IG Metall, dass die Tabellenwerte ab Juni 2007 um 4,1 % steigen und die Beschäftigten für April und Mai 2007 eine Pauschalzahlung von 400,00 EUR erhalten.
Es ist zwischen den Parteien unstreitig, dass die monatliche Tarifentgelterhöhung ab Juni 2007 für den Kläger 117,00 EUR brutto beträgt.
Die Beklagte ist der Ansicht, die arbeitsvertragliche Bezugnahmeklausel sei nach der Rechtsprechung des BAG als Gleichstellungsabrede auszulegen, da der Arbeitsvertrag vor dem ...