Entscheidungsstichwort (Thema)
Unterlassungsantrag des Betriebsrats. Anordnung, Duldung von Mehrarbeit. Zustimmung des Betriebsrats. Zuständigkeit des Betriebsrats. Abspaltung von Betriebsteilen vor bzw. nach Betriebsratswahl. Rechtsfolgen einer unterlassenen Wahlanfechtung. Übergangsmandat. Gemeinschaftsbetrieb. einstweilige Verfügung. Verfügungsgrund. Zulässigkeit einer Anschlussbeschwerde. Anschlussbeschwerdebegründung
Leitsatz (redaktionell)
1. Ein Unterlassungsantrag des Betriebsrats, wonach der Arbeitgeber es unterlassen soll, Überstunden ohne vorherige Zustimmung des Betriebsrats anzuordnen, zu dulden oder ihre Leistung hinzunehmen, ist hinreichend bestimmt i.S.v. § 253 Abs. 2 Nr. 2 ZPO.
2. Dem Betriebsrat steht ein Anspruch auf Unterlassung von mitbestimmungswidrigen Maßnahmen gegen den Arbeitgeber zu, wenn der Arbeitgeber Mitbestimmungsrechte des Betriebsrats aus § 87 BetrVG verletzt. Dieser Anspruch setzt keine grobe Pflichtverletzung des Arbeitgebers i.S.v. § 23 Abs. 3 BetrVG voraus.
Normenkette
BetrVG §§ 1, 3-4, 19, 21a, 87 Abs. 1 Nr. 3; ZPO § 253 Abs. 2 Nr. 2, §§ 520, 524; ArbGG § 85 Abs. 2, § 89 Abs. 2
Verfahrensgang
ArbG Siegen (Beschluss vom 02.09.2010; Aktenzeichen 2 BVGa 10/10) |
Tenor
Die Beschwerde der Arbeitgeberin und die Anschlussbeschwerde des Betriebsrats gegen den Beschluss des Arbeitsgerichts Siegen vom 02.09.2010 – 2 BVGa 10/10 – werden zurückgewiesen.
Tatbestand
A
Im vorliegenden einstweiligen Verfügungsverfahren nimmt der antragstellende Betriebsrat ein Mitbestimmungsrecht bei der Durchführung von Überstunden bei der beteiligten Arbeitgeberin im Bezirk S2 für sich in Anspruch.
Die Firma A1 S1 betreibt bundesweit Drogeriemärkte. Die einzelnen Verkaufsstellen sind aufgrund eines im Jahre 1995 abgeschlossenen Zuordnungstarifvertrags gemäß § 3 BetrVG organisatorisch bestimmten Bezirken zugeordnet, denen ein Bezirksleiter vorsteht. Dem Bezirk 22 S2 gehörten Anfang des Jahres 2010 27 Verkaufsstellen mit insgesamt 107 Arbeitnehmern an.
Im Bezirk S2 kam es im Jahre 2007 erstmals zur Wahl eines Betriebsrats, dem Antragsteller des vorliegenden Verfahrens.
Die vormals zum Bezirk S2 gehörende Verkaufsstelle in K5 wurde zum 28.01.2009 von der Firma A1 S1 geschlossen. Die Räumlichkeiten mietete sodann die Firma S1 X1 GmbH, die Arbeitgeberin des vorliegenden Verfahrens, an und eröffnete dort eine Filiale. In neuen Regalen wird dort ein Warensortiment von ca. 12.000 Artikeln angeboten – im Vergleich zu ca. 4.000 Artikeln, die zuvor in der Verkaufsstelle K5 der Firma A1 S1 angeboten wurden. In der Filiale K5 sind fünf Arbeitnehmerinnen eingesetzt, wovon eine zuvor bereits bei der Firma A1 S1 tätig war.
Die Arbeitgeberin, deren alleiniger Gesellschafter A1 S1 ist, wurde im Dezember 2008 gegründet. Die Geschäftsführerin der Arbeitgeberin war zuvor Geschäftsführerin der Tochtergesellschaft der Firma A1 S1 in Österreich. Sowohl die Arbeitgeberin wie auch die Firma A1 S1 haben ihren Sitz in E2, T1. 12-13, und verfügen über identische Telefon-einschließlich der Nebenanschlüsse.
Die Geschäftsführerin der Arbeitgeberin ist dort mit zwei Sachbearbeitern tätig und verwaltet die Personalakten von 1.500 bis 2.100 Arbeitnehmern – bei inzwischen ca. 300 Märkten mit jeweils fünf bis sieben Mitarbeitern. Der Geschäftsführung der Arbeitgeberin sind deutschlandweit vier Vertriebsleitungen unterstellt, denen ihrerseits die Regionalleitungen unterstellt sind. Die Regionalleitungen sind die Vorgesetzten der Marktverantwortlichen bzw. Verkaufsverantwortlichen (VV), denen alle Mitarbeiter eines Marktes, einer Filiale, unterstellt sind. Die Verkaufsverantwortlichen führen den Markt im Rahmen allgemeiner Anweisungen, sie besitzen die Schlüsselgewalt, haben die bedarfsgerechte Disposition der Waren zu gewährleisten und erstellen die Dienstpläne vor Ort in den Märkten.
Die Firma A1 S1 unterhält in der Zentrale in E2 eine Personalabteilung mit ca. 20 Mitarbeitern. Daneben gibt es eine Lohnbuchhaltung, die auch die Aufgaben für die Arbeitgeberin mit erledigt. Auch die Immobilienabteilung der Firma A1 S1 erbringt Dienstleistungen für die Arbeitgeberin des vorliegenden Verfahrens.
Ob die Arbeitgeberin mit der Firma A1 S1 einen gemeinsamen Betrieb im Sinne des Betriebsverfassungsgesetzes bildet, ist zwischen den Beteiligten streitig. Hierüber streiten die Beteiligten insbesondere in dem inzwischen eingeleiteten Beschlussverfahren 1 BV 24/10 Arbeitsgericht Siegen. Kammertermin zur Anhörung der Beteiligten ist auf den 01.02.2011 anberaumt.
Anfang des Jahres 2010 fanden im Bezirk Siegen der Firma A1 S1 Betriebsratswahlen statt. Da der dort gebildete Wahlvorstand die Auffassung vertrat, die Arbeitgeberin bilde mit der Firma A1 S1 einen gemeinsamen Betrieb, verlangte er im Wege der einstweiligen Verfügung von der Arbeitgeberin zur Erstellung einer Wählerliste die Überlassung der erforderlichen Daten der fünf Arbeitnehmerinnen, die im Markt in K5 tätig waren. Nachdem der entsprechende Antrag des Betriebsrats durch Beschluss des Arbeitsgerichts Si...