Entscheidungsstichwort (Thema)

Verhaltensbedingte Kündigung durch einen Verstoß eines Arbeitnehmers gegen die politische Treuepflicht und eine dadurch eintretende konkrete Störung des Arbeitsverhältnisses (hier: Beschäftigung von Rechtsextremen)

 

Leitsatz (redaktionell)

1. Beschäftigte des öffentlichen Dienstes schulden lediglich ein solches Maß an politischer Loyalität, das für die funktionsgerechte Verrichtung ihrer Tätigkeit unverzichtbar ist.

2. Übt ein Beschäftigter des öffentlichen Dienstes keine hoheitlichen Befugnisse aus, unterliegt er einer einfachen politischen Loyalitätspflicht.

3. Auch das Verhalten des Prozessbevollmächtigten des Arbeitnehmers im Kündigungsschutzprozess, das dem Arbeitnehmer zuzurechnen ist, kann die Auflösung des Arbeitsverhältnisses gemäß § 9 Abs. 1 S. 2 KSchG rechtfertigen.

 

Normenkette

BGB § 626 Abs. 1

 

Verfahrensgang

ArbG Bochum (Entscheidung vom 01.12.2021; Aktenzeichen 3 Ca 997-21)

 

Tenor

Die Berufung des Klägers und die Anschlussberufung der Beklagten gegen das Urteil des Arbeitsgerichts Bochum vom 01.12.2021 - 3 Ca 997/21 -werden zurückgewiesen.

Die Kosten des Berufungsverfahrens tragen der Kläger zu 25 % und die Beklagte zu 75 %.

Die Revision wird nicht zugelassen.

 

Tatbestand

Die Parteien streiten über die Wirksamkeit einer Kündigung und die Auflösung des Arbeitsverhältnisses.

Der am 05.06.1988 geborene, verheiratete und einem Kind zum Unterhalt verpflichtete Kläger war bei der beklagten Stadt seit dem 01.09.2005 als Garten- und Landschaftsbauer, zuletzt auf der Stelle eines technischen Sachbearbeiters im Bereich Park- und Grünanlagen, zu einem regelmäßigen Bruttomonatsgehalt von 4.387,55 € beschäftigt. Gemäß § 2 des zwischen den Parteien geschlossen Arbeitsvertrags vom 04.06.2008 (Bl. 40f. GA) findet auf das Arbeitsverhältnis der Tarifvertrag für den öffentlichen Dienst - Bereich Verwaltung - in der jeweils gültigen Fassung (fortan: TVöD-V) Anwendung. Die Beklagte beschäftigt regelmäßig mehr als zehn Arbeitnehmer mit Ausnahme der zu ihrer Berufsausbildung Beschäftigten.

Im Rahmen seiner Einstellung unterzeichnete der Kläger am 06.04.2005 eine Erklärung (Bl. 42 GA), in der er sich zur freiheitlich-demokratischen Grundordnung im Sinne des Grundgesetzes bekannte und versicherte, Bestrebungen, die gegen die freiheitliche demokratische Grundordnung oder gegen eines ihrer grundlegenden Prinzipien gerichtet sind, nicht zu unterstützen und insbesondere nicht Mitglied einer hiergegen gerichteten Organisation zu sein.

Die Beklagte wurde am 12.07.2021 darüber unterrichtet, dass zwei ihrer Mitarbeiter, darunter der Kläger, Mitglieder der sogenannten "A" und des dortigen "B" seien. Dies wurde auch in einer Pressemitteilung der antifaschistischen Gruppe "C" vom 13.07.2021 (Bl. 43f. GA) mitgeteilt. Die Pressemitteilung stützte sich auf Ergebnisse des Recherchekollektivs "D". Der Kläger wurde von der Beklagten daraufhin ab dem 14.07.2021 beurlaubt.

Am 20.07.2021 stellte die Fraktion F im Rat der beklagten Stadt eine Anfrage, wie die Beklagte mit Mitarbeitern, die Mitglieder der "A" seien, umzugehen beabsichtige. Die mögliche Beschäftigung von Rechtsextremen bei der Beklagten wurde in einem Bericht der Tageszeitung G vom 21.07.2021 aufgegriffen.

Die Beklagte erhielt vom Verfassungsschutz des Landes Nordrhein-Westfalen am 19. oder 20.07.2021 - der Tag des Zugangs ist zwischen den Parteien streitig - ein auf den 19.07.2021 datiertes Behördenzeugnis mit Erkenntnissen zum Kläger (Bl. 134ff. GA), das auszugsweise lautet:

"Der Verfassungsschutz Nordrhein-Westfalen kann bestätigen, dass H. am 02.11.2019 in I am "J" teilgenommen hat.

Am 14.10.2017 nahm H. an der rechtsextremistischen Kampsportveranstaltung "K" in M teil.

Am 09.12.2017 nahm H. an dem o. g. von den "A" veranstalten "White X-Mas"-Konzert 2017 in den Räumlichkeiten des Bürgerschützenverein "N e.V.", O Str. 60a in XXXXX P teil. Durch das hiesige nachrichtendienstliche Informationsaufkommen ist die Anwesenheit des H. sicher belegt. Die Veranstaltung wurde von 450-500 Personen aus dem In- und Ausland besucht, darunter zahlreiche Mitglieder der "A" und sonstige verfassungsschutzbekannte Rechtsextremisten. Es traten die in der subkulturellen rechtsextremistischen Szene prominenten rechtsextremistischen Bands "R", "S", "U" und "T" auf.

A

Bei der von H. unterstützten Vereinigung "A" handelt es sich um eine Gruppierung, die der Verfassungsschutz Nordrhein-Westfalen dem sogenannten "subkulturellen Rechtsextremismus" zurechnet. Die "A" ist eine international agierende Organisation, die Ende der 1980er Jahre in den Vereinigten Staaten von V gegründet wurde und seit den 1990er Jahren in Deutschland aktiv ist. A verstehen sich als Elite der rechtsextremistischen Skinhead-Szene. Innerhalb der Organisation besteht ein strenger hierarchischer Aufbau. Die Vereinigung ist nach Ländern unterteilt. Darunter ist sie in mehrere Regionalgruppen, sogenannte "Chapter", organisiert, die unabhängig voneinander agieren. Es gibt eine nationale, europäische und internationale S...

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