Entscheidungsstichwort (Thema)
Anhörung. außerordentliche Kündigung. Betriebsrat. Beweismittel. Beweisverwertungsverbot. informationelle Selbstbestimmung. Nachschieben von Kündigungsgründen. Persönlichkeitsrecht. Telekommunikation. Vermögensdelikt. Verwertbarkeit von Erkenntnissen aus der Auswertung des Arbeitsplatzrechners eines Arbeitnehmers zum Nachweis eines Vermögensdelikts
Leitsatz (amtlich)
1. Stützt sich der Arbeitgeber zum Nachweis des Vorwurfs, der Arbeitnehmer habe ein gegen ihn gerichtetes Vermögensdelikt begangen, auf den Inhalt von Chatprotokollen, die auf dem Arbeitsplatzrechner des Arbeitnehmers nach Ausspruch der Kündigung vorgefunden wurden, handelt es sich nicht um ein Nachschieben von Kündigungsgründen, zu dem der Betriebsrat vorher angehört werden muss.
2. Aus einer ggf. gegen § 206 StGB, § 88 TKG. § 32 BDSG und § 87 Abs. 1 Nr. 1 und 6 BetrVG verstoßenden Erlangung der auf einem Arbeitsplatzrechner vorgefundenen abgespeicherten Chatprotokolle folgt kein Beweisverwertungsverbot, wenn der Arbeitgeber seinen Arbeitnehmern lediglich eine gelegentliche private Nutzung elektronischer Ressourcen gestattet und zugleich darauf hinweist, dass bei einer Abwicklung persönlicher Angelegenheiten auf elektronischen Geräten und über das Netzwerk der Mitarbeiter keine Vertraulichkeit erwarten und der Arbeitgeber die Nutzung überwachen und bei gegebener Notwendigkeit die Daten einsehen kann, die der Mitarbeiter anlegt oder mit anderen austauscht. Ein Arbeitnehmer muss, wenn er illegale Aktivitäten gegen seinen Arbeitgeber entwickelt, bei einer derart eingeschränkten Vertraulichkeit der Privatnutzung damit rechnen, dass Spuren, die er durch die Nutzung von elektronischen Ressourcen des Arbeitgebers hinterlässt, in einem Prozess gegen ihn verwendet werden.
Normenkette
GG Art. 2 Abs. 1, Art. 10 Abs. 1; BetrVG § 87 Abs. 1 Nrn. 1, 6, § 102 Abs. 1; BGB § 626; BDSG § 32; StGB § 206; TKG § 88; ZPO § 286; BGB § 626 Abs. 1; BetrVG § 102
Verfahrensgang
ArbG Iserlohn (Entscheidung vom 14.09.2010; Aktenzeichen 5 Ca 1055/09) |
Tenor
Auf die Berufung der Beklagten wird unter ihrer Zurückweisung im Übrigen das Urteil des Arbeitsgerichts Iserlohn vom 14. September 2010 (5 Ca 1055/09) teilweise abgeändert und wie folgt neu gefasst:
Es wird festgestellt, dass das Arbeitsverhältnis der Parteien nicht durch die außerordentliche Kündigung der Beklagten vom 13. März 2009, sondern durch die außerordentliche Kündigung der Beklagten vom 20. März 2009 mit dem Ablauf dieses Tages sein Ende gefunden hat.
Im Übrigen wird die Klage abgewiesen.
Die Kosten des Rechtsstreits tragen der Kläger zu 19/20, die Beklagte zu 1/20.
Die Revision wird für den Kläger zugelassen.
Tatbestand
Die Parteien streiten über die Wirksamkeit zweier fristloser, hilfsweise fristgerechter Kündigungen der Beklagten, zudem verlangen sie wechselseitig die Auflösung des Arbeitsverhältnisses gegen Zahlung einer Abfindung.
Der am 19. Januar 1963 geborene, verheiratete und zwei Kindern gegenüber unterhaltspflichtige Kläger war seit dem 1. Januar 1989 als Netzwerkingenieur bei der Beklagten, einem Armaturenhersteller, beschäftigt. Die regelmäßige Arbeitszeit betrug 40 Stunden in der Woche, die Vergütung zuletzt 6.085,00 Euro brutto monatlich. Grundlage des Arbeitsverhältnisses waren die in dem Einstellungsschreiben der Beklagten vom 9. Dezember 1988 niedergelegten Arbeitsbedingungen (wegen der Einzelheiten vgl. Anlage K2 zur Klageschrift, Bl. 6 - 8 d. A.).
Die Beklagte sprach gegenüber dem Kläger am 13. März 2009 und 20. März 2009 jeweils eine außerordentliche, hilfsweise fristgerechte Kündigung zum nächstmöglichen Termin aus. Beide Kündigungen stützt sie auf dieselben Kündigungssachverhalte. Zum einen wirft sie dem Kläger vor, Armaturen vom Typ "Rainshower" über die Internetplattform eBay veräußert zu haben. Zum anderen habe er Produkte aus dem aktuellen Sortiment der Beklagten an ihre Mitarbeiter im Betrieb verkauft. In beiden Fällen habe der Verkaufspreis zum Teil weit unter dem offiziellen Verkaufspreis für Endkunden, dem Großhandelspreis und dem Mitarbeiterverkaufspreis gelegen, woraus sich ergebe, dass der Kläger die verkauften Waren entweder gestohlen, unterschlagen oder gehehlt habe. Die Beklagte stützt ihre Kündigungen sowohl auf den Vorwurf der Tatbegehung als auch auf einen entsprechenden Verdacht. Zum Nachweis stützt sich die Beklagte u. a. auf Protokolle von Chats über Skype (im Folgenden: Chatprotokolle), die auf einem der vom Kläger genutzten Rechner vorgefunden worden sein sollen.
Die Nutzung unternehmenseigener PCs, Server und Großrechner ist in der Organisationsrichtlinie Nr. 184/1 vom 15. September 2002 dahin geregelt, dass die private Nutzung ausnahmslos verboten ist. Der dem Kläger am 25. Juli 2007 übergebene Unternehmenskodex aus dem Jahr 2007 erlaubt dagegen in Nr. 10.3 die gelegentliche oder vereinzelte private Nutzung von elektronischen Ressourcen der Beklagten. Wegen der Einzelheiten zu diesen unternehmensinternen Regelungen wird auf die von der Beklagten v...