Entscheidungsstichwort (Thema)
Unwirksame außerordentliche Verdachtskündigung einer Sparkassenangestellten wegen des Austauschs einer Bargeldlieferung mit einem Paket aus Waschpulver und Babybrei bei unzureichender Anhörung der Arbeitnehmerin zum konkreten Tatverdacht
Leitsatz (redaktionell)
1. Die Anhörung der verdächtigen Arbeitnehmerin ist Wirksamkeitsvoraussetzung für eine außerordentliche Verdachtskündigung.
2. Die Arbeitgeberin hat erst dann alles ihr Zumutbare zur Sachverhaltsaufklärung getan, wenn sie der Arbeitnehmerin Gelegenheit zur Stellungnahme gegeben hat. Die Notwendigkeit der Anhörung vor Erklärung der Verdachtskündigung ist Ausfluss des Verhältnismäßigkeitsprinzips und soll die Arbeitgeberin vor voreiligen Entscheidungen bewahren und der Gefahr begegnen, dass eine Unschuldige von der Kündigung getroffen wird.
3. Der Umfang der Nachforschungspflicht und damit auch die Ausgestaltung der Anhörung richten sich nach den Umständen des Einzelfalls. Die Anhörung muss sich aber immer auf einen greifbaren Sachverhalt beziehen, damit die Arbeitnehmerin die Möglichkeit hat, bestimmte, zeitlich und räumlich eingegrenzte Tatsachen gegebenenfalls zu bestreiten, den Verdacht entkräftende Tatsachen aufzuzeigen und so zur Aufhellung der für die Arbeitgeberin im Dunkeln liegenden Geschehnisse beizutragen.
4. Das Thema der Anhörung muss nicht grundsätzlich vorher bekannt gegeben werden und der Arbeitnehmerin sind auch nicht unbedingt konkret formulierte Fragen vorzulegen. Zweck der Anhörung ist die Aufklärung des belastenden Sachverhalts in Gänze und auch in Richtung auf eine mögliche Entlastung, wozu die Arbeitnehmerin Gelegenheit erhalten soll, sich möglichst unbefangen mit den Vorwürfen der Arbeitgeberin auseinanderzusetzen, weil möglicherweise schon ihre spontane Reaktion zu einer Entlastung führt.
5. Besteht der für eine Verdachtskündigung maßgebliche Sachverhalt in dem Vorwurf, dass in einer Transportbox der Deutschen Bundesbank statt der ordnungsgemäß in die Filiale gelieferten 115.000 Euro Babybrei und Waschpulver vorgefunden wurden und der angelieferte Bargeldbetrag nur in der Filiale von der verdächtigen Angestellten hat entnommen werden können, und wird der Arbeitnehmerin in der Anhörung lediglich vorgehalten, gegen die Pflichten einer Kassiererin, nur notwendige Bargeldbeträge zu bestellen und dabei die Versicherungsgrenze zu wahren, vorgehalten, betrifft diese Pflichtwidrigkeit einen anderen Pflichtenkatalog. Damit hat die Arbeitgeberin nicht alles in ihrer Macht Stehende unternommen, um den Sachverhalt aufzuklären.
Normenkette
BGB §§ 626, 241 Abs. 2, § 626 Abs. 1; TVöD-S § 34 Abs. 2
Verfahrensgang
ArbG Herne (Entscheidung vom 04.10.2016; Aktenzeichen 3 Ca 1053/16) |
Tenor
Die Berufung der Beklagten gegen das Urteil des Arbeitsgerichts Herne vom 04.10.2016 - 3 Ca 1053/16 - wird zurückgewiesen.
Die Beklagte trägt die Kosten des Berufungsverfahrens.
Die Revision wird nicht zugelassen.
Tatbestand
Die Parteien streiten darüber, ob das zwischen ihnen bestehende Arbeitsverhältnis durch Kündigung der Beklagten beendet ist.
Die 1964 geborene Klägerin, Mutter einer erwachsenen Tochter, ist seit dem 1991 als Angestellte bei der Beklagten beschäftigt. Sie erzielte zuletzt ein Bruttomonatsentgelt von 3.430,53 Euro.
Dem Arbeitsverhältnis liegt ein Arbeitsvertrag vom 11.01.1991 zugrunde. Gemäß § 2 des Arbeitsvertrages richtete sich das Arbeitsverhältnis nach den Vorschriften des Bundes-Angestelltentarifvertrages (BAT) vom 23.02.1961 und den diesen ergänzenden, ändernden oder ersetzenden Tarifverträgen. Auf das Arbeitsverhältnis findet nunmehr der TVöD-S Anwendung.
Die Beklagte setzte die Klägerin zuletzt als Kassiererin in ihrer Filiale Hstraße in I-C ein.
Nach 004.02.03.01 "Bargeldversorgung" des ORG-Handbuchs (Bl. 34 d. A.) sind Bargeldbestellungen anhand des Cash-Managements für den nächsten Geschäftstag zu prüfen und freizugeben. Bei der Geldanlieferung ist die Legitimation des Geldboten zu prüfen und festzustellen, ob die Plomben der P-Behälter und Hartgeldsäcke unversehrt sind und ihre Nummern mit den Angaben auf den Begleitzetteln übereinstimmen. Der Empfang des Geldes ist im Tourenplan des Geldboten zu quittieren, P-Behälter und Hartgeldsäcke sind nach dem Vier-Augen-Prinzip zu öffnen und der Geldbetrag ist zu überprüfen. Anschließend erfolgen die Buchung der Geldlieferung zum Kassenkonto und die Bestätigung der Anlieferung im Cash-Management.
Nach 000.0950.03.02.01 "Bareinzahlung zu Gunsten eines Kontos bei der I Sparkasse" des ORG-Handbuchs (Bl. 73 d. A.) hat der Kassierer bei Bareinzahlungen ab 1000,- Euro - gleich, ob auf ein eigenes oder ein fremdes Konto - eine Kopie für den Geldwäschebeauftragten zu erstellen. Auch wenn sich der Betrag von mehr als 1000,- Euro aus mehreren einzelnen Einzahlungen ergibt, ist der Einzahler zu identifizieren, sind die Daten des Einzahlers anhand eines Legitimationspapiers zu überprüfen und sind ein GWG-Identifizierungsbogen sowie ein Geldwäsche-Geko zu erstellen. Bei Einzahlungen a...