Entscheidungsstichwort (Thema)
Unberechtigte Aufforderung des Arbeitgebers zur Vorlage eines erweiterten Führungszeugnisses gegenüber einem kaufmännischen Mitarbeiter im Bereich der Jugendhilfe
Leitsatz (redaktionell)
1. Die Frage, ob der Arbeitgeber jenseits der gesetzlich geregelten Pflicht und Berechtigung die Vorlage eines erweiterten Führungszeugnisses (§ 30a BZRG) verlangen kann, ist nach den Vorschriften zum Beschäftigungsschutz und nach den Maßstäben zu beurteilen, die das Bundesarbeitsgericht zum Fragerecht der Arbeitgeberseite nach Vorstrafen entwickelt hat.
2. Gemäß § 32 Abs. 1 Satz 1 BDSG darf die Arbeitgeberseite personenbezogene Daten von Beschäftigten für Zwecke des Beschäftigungsverhältnisses erheben, wenn die Kenntnis dieser Daten für die Entscheidung über die Begründung eines Beschäftigungsverhältnisses oder nach Begründung eines solchen für dessen Durchführung oder Beendigung erforderlich ist; das BDSG setzt damit den Rahmen, inwieweit die Arbeitgeberseite von Beschäftigten Informationen über begangene Straftaten verlangen kann.
3. Die für die Vorlage eines einfachen Führungszeugnisses geltenden Grundsätze müssen im Sinne der Zielsetzung des erweiterten Führungszeugnisses, das ausschließlich dem Schutz Minderjähriger dient, erweitert werden.
4. Bei der Frage, ob ein Anspruch auf Vorlage eines erweiterten Führungszeugnisses besteht, sind das Informationsinteresse des Arbeitgebers und das Schutzinteresse des Arbeitnehmers bezogen auf seine persönlichen Daten gegeneinander abzuwägen; entscheidend für die Rechtmäßigkeit oder Rechtswidrigkeit des Vorlageverlangens ist, ob der Arbeitgeber ein überwiegendes Interesse daran hat, den Inhalt des erweiterten Führungszeugnisses zu erfahren: Sind die Voraussetzungen des § 30a BZRG erfüllt, ist von einem überwiegenden Interesse des Arbeitgebers an einer Vorlage des erweiterten Führungszeugnisses auszugehen; liegt ein Fall des § 30a BZRG nicht vor, wird der Arbeitgeber regelmäßig die Vorlage eines erweiterten Führungszeugnisses aus Gründen des allgemeinen Persönlichkeitsrechts des Beschäftigten sowie des Datenschutzes nicht verlangen können.
5. Die Vorlage eines erweiterten Führungszeugnisses kann nur dann verlangt werden, wenn der Nachweis tatsächlich benötigt wird, weil der betreffenden Person eine konkrete berufliche oder ehrenamtliche Beaufsichtigung, Betreuung, Erziehung oder Ausbildung Minderjähriger übertragen werden soll oder aber eine Tätigkeit, die in vergleichbarer Weise geeignet ist, Kontakt zu Minderjährigen aufzunehmen und ein Vertrauensverhältnis aufzubauen.
6. Die Regelung des § 30a Abs. 1 Nr. 2 Buchst. b BZRG ist nicht derart weit zu verstehen, dass jegliche hypothetische Möglichkeit der Kenntniserlangung von Daten über Kinder und Jugendliche, die ausgenutzt werden könnte, einen Kontakt zu Minderjährigen aufzunehmen, ausreicht, um die Vorlage eines erweiterten Führungszeugnisses verlangen zu können; ein derart weites Verständnis der Regelung in § 30a Abs. 1 Nr. 2 Buchst. b BZRG ist nicht mit dem Schutzinteresse des Arbeitnehmers auf informelle Selbstbestimmung und dem Schutz seiner persönlichen Daten in Einklang zu bringen.
7. Ein ausgebildeter Betriebswirt, der für einen Verein als Träger in der Jugendhilfe außer einem dreiviertel Jahr im Rahmen eines Anerkennungsjahrs zum staatlich anerkannten Erzieher nunmehr rein kaufmännisch tätig ist und im Rahmen seiner Beschäftigung als Mitarbeiter in der Verwaltungsabteilung der Geschäftsstelle des Vereins zu keinem Zeitpunkt bestimmungs- oder arbeitsplatzgemäß Kontakt zu Kindern und Jugendlichen gehabt hat und auch im Rahmen seiner vertragsgemäßen Tätigkeit keinen bestimmungs- oder arbeitsplatzgemäßen Kontakt mit Kindern und Jugendlichen haben wird, ist nicht zur Vorlage eines erweiterten Führungszeugnisses verpflichtet.
Normenkette
BZRG § 30a; BDSG § 32 Abs. 1; BGB § 241 Abs. 2, § 611a; BDSG § 32 Abs. 1 S. 1; SGB VIII § 72a; ZPO § 256 Abs. 1; BZRG § 30a Abs. 1 Nrn. 1, 2 Buchst. a, b
Verfahrensgang
ArbG Dortmund (Entscheidung vom 31.05.2017; Aktenzeichen 10 Ca 4180/16) |
Tenor
Auf die Berufung des Klägers wird das Urteil des Arbeitsgerichts Dortmund vom 31.05.2017, Aktenzeichen 10 Ca 4180/16, abgeändert und wie folgt neu gefasst:
Es wird festgestellt, dass der Kläger nicht verpflichtet ist, dem Beklagten ein erweitertes Führungszeugnis nach § 30 a BZRG vorzulegen.
Der Beklagte hat die Kosten des Rechtsstreits zu tragen.
Die Revision wird zugelassen.
Tatbestand
Die Parteien streiten darüber, ob der Kläger verpflichtet ist, dem Beklagten ein erweitertes Führungszeugnis gemäß § 30 a BZRG vorzulegen.
Der 1954 geborene Kläger ist seit 1978 bei dem Beklagten als Mitarbeiter in der Verwaltung beschäftigt; er erzielt ein Bruttomonatsentgelt in Höhe von zuletzt 5.000,00 Euro. Der Kläger ist ausgebildeter Betriebswirt. Zudem hat er im Jahr 1978 eine Ausbildung zum staatlich anerkannten Erzieher absolviert und war insgesamt ein dreiviertel Jahr bei dem Beklagten als Erzieher im Anerkennungsjahr beschäftigt. Seitdem ist...