Entscheidungsstichwort (Thema)
Unwirksamkeit einer Nichtverlängerungsmitteilung. Schwangerschaft als Entlassungsgrund. In-Vitro-Fertilisation als Entlassungsgrund. Bühnenschiedsgerichtsverfahren und Aufhebungsverfahrens
Leitsatz (amtlich)
1. Mit der Entscheidung des Bühnenoberschiedsgerichts ist das Bühnenschiedsgerichtsverfahren verbraucht. Gegenstand des Aufhebungsverfahrens nach § 110 ArbGG ist das vor dem Schiedsgericht anhängig gemachte Sachbegehren. Dies gilt auch dann, wenn der Spruch des Bühnenoberschiedsgerichts nicht binnen fünf Monaten nach Verkündung vollständig abgefasst und unterschrieben worden ist.
2. Eine Nichtverlängerungsmitteilung nach § 61 NV Bühne kann wegen Verstoßes gegen ein Diskriminierungsverbot nach § 134 BGB iVm. §§ 1, 3, 7 Abs. 1 AGG unwirksam sein.
3. Unmittelbare, geschlechtsbezogene Benachteiligung: Eine Schwangerschaft ist als der hauptsächliche Grund für eine Entlassung anzusehen ist, wenn eine Arbeitnehmerin aufgrund von Fehlzeiten gekündigt wird, die sich aus ihrer durch die Schwangerschaft bedingten Arbeitsunfähigkeit ergeben. Entsprechendes gilt für Ausfallzeiten infolge einer In-Vitro-Fertilisation.
Normenkette
ArbGG § 110 Abs. 1 Nrn. 1-2; NV Bühne § 61; BSchGO § 26 Abs. 1 S. 1
Verfahrensgang
ArbG Köln (Entscheidung vom 26.09.2013; Aktenzeichen 8 Ha 13/12) |
Tenor
I.
Auf die Berufung der Aufhebungsbeklagten wird das Urteil des Arbeitsgerichts Köln vom 26.09.2013 (Az. 8 Ha 13/12) abgeändert:
Die Aufhebungsklage wird abgewiesen.
II.
Die Aufhebungsklägerin trägt die Kosten des Rechtsstreits.
III.
Die Revision wird nicht zugelassen.
Tatbestand
Die Parteien streiten im Rahmen einer Aufhebungsklage nach § 110 ArbGG über die Beendigung ihres Arbeitsverhältnisses infolge Nichtverlängerungsmitteilung vom 28.06.2011.
Die Aufhebungsbeklagte ist seit dem 01.08.2003 als Solotänzerin mit Gruppenverpflichtung, zuletzt zu einem monatlichen Bruttoentgelt i.H.v. 2.549,00 EUR bei der Aufhebungsklägerin beschäftigt. Sie ist Mitglied in dem bei der Aufhebungsklägerin gewählten Betriebsrat. Der Arbeitsvertrag der Parteien nimmt Bezug auf den Tarifvertrag "Normalvertrag Bühne" (NV Bühne) in der jeweils geltenden Fassung. Er war zunächst auf ein Jahr befristet und verlängerte sich danach jeweils nach den Regelungen des NV Bühne um ein weiteres Jahr. Die hierfür maßgebliche Tarifvorschrift des NV Bühne lautet:
§ 61
Nichtverlängerungsmitteilung - Solo
(1) Das Arbeitsverhältnis endet mit dem im Arbeitsvertrag vereinbarten Zeitpunkt.
(2) Ein mindestens für ein Jahr (Spielzeit) abgeschlossener Arbeitsvertrag verlängert sich zu den gleichen Bedingungen um ein Jahr (Spielzeit), es sei denn, eine Vertragspartei teilt der anderen bis zum 31. Oktober der Spielzeit, mit deren Ablauf der Arbeitsvertrag endet, schriftlich mit, dass sie nicht beabsichtigt, den Arbeitsvertrag zu verlängern (Nichtverlängerungsmitteilung). Besteht das Arbeitsverhältnis am Ende einer Spielzeit ununterbrochen mehr als acht Jahre (Spielzeiten), muss die Nichtverlängerungsmitteilung der anderen Vertragspartei bis zum 31. Juli der jeweils vorangegangenen Spielzeit schriftlich zugegangen sein. (...)
(4) Bevor der Arbeitgeber eine Nichtverlängerungsmitteilung ausspricht, hat er das Solo-Mitglied - auf dessen schriftlichen Wunsch auch den Sprecher der Sparte, der das Solomitglied angehört oder das von dem Solomitglied benannte Vorstandsmitglied des Orts-Lokal-Verbandes einer der vertragsschließenden Gewerkschaften, das an der gleichen Bühne beschäftigt ist - zu hören. Das Solomitglied ist fünf Tage vor der Anhörung zur Anhörung schriftlich einzuladen. (...)
(8) Klagen gegen Nichtverlängerungsmitteilungen sind innerhalb einer Ausschlussfrist von vier Monaten nach den in Absatz 2 genannten Terminen zur Nichtverlängerungsmitteilung zu erheben.
Mit Schreiben vom 27.05.2011 lud die Aufhebungsklägerin die Aufhebungsbeklagte zu dem nach § 61 NV Bühne vorgesehenen Anhörungsgespräch am 20.06.2011 ein. Nach einem von der Aufhebungsklägerin vorgelegten Protokoll verlief das Gespräch - in Auszügen - wie folgt:
"Herr G hat sich gemeinsam mit der Ballettdirektorin die Frage gestellt, ob (die Beklagte) am Landestheater eine Zukunft als Tänzerin hat, da sie sich nicht mehr 100% in ihren Beruf einbringt. Die Ballettdirektorin braucht jedoch die Sicherheit, dass (die Beklagte) ihre Aufgabe als Ballettsolistin des Landestheaters zu 100% erfüllt. Frau T (Ballettdirektorin) versteht nach eigener Aussage (die) private Situation (der Beklagten) und respektiert deren dringlichen Kinderwunsch. Sie sei jedoch in der aktuellen Spielzeit mehr ab- als anwesend gewesen, wenn sie anwesend war, musste sie stets nachstudieren, um den Anschluss an die Company zu halten. Frau T erwähnt, dass (die Beklagte) körperlich nicht so schnell ins Training einsteigen kann und so belastbar ist wie deren Kollegen, was für ein weiteres Verweilen im Ensemble nicht ausreichend sei. (Die Beklagte) wirft ein, sie sei nur zwei Wochen im vergangenen Oktober nicht voll belastbar gewesen, habe aber sonst i...