Entscheidungsstichwort (Thema)
Störung der Geistestätigkeit und Geschäfts- und Prozessunfähigkeit. Psychische Erkrankung bei fehlender Entscheidungsfähigkeit und übermäßiger Beherrschung von Einflüssen dritter Personen
Leitsatz (amtlich)
Eine krankhafte Störung der Geistestätigkeit führt nicht zwangsläufig zu einer Geschäfts- und Prozessunfähigkeit. Nicht jede psychische Erkrankung schließt dauerhaft und für sämtliche Geschäfte die freie Willensbildung aus. Das ist erst dann der Fall, wenn die Partei in dem betroffenen Rechtskreis nicht mehr in der Lage ist, ihre Entscheidungen von vernünftigen Erwägungen abhängig zu machen, und ihr Wille infolge einer Geistesstörung von Einflüssen dritter Personen übermäßig beherrscht wird.
Normenkette
BGB § 104 Nr. 2, §§ 119, 123, 615; KSchG §§ 1-2, 11; ZPO §§ 52, 56, 253 Abs. 2
Verfahrensgang
ArbG Schwerin (Entscheidung vom 31.01.2018; Aktenzeichen 4 Ca 371/17) |
Tenor
1. Die Berufung der Beklagten gegen das Urteil des Arbeitsgerichts Schwerin vom 31.01.2018 - 4 Ca 371/17 - wird auf ihre Kosten zurückgewiesen.
2. Die Revision wird nicht zugelassen.
Tatbestand
Die Parteien streiten über die Wirksamkeit von zwei ordentlichen Kündigungen und Annahmeverzugslohn.
Der im März 1981 geborene Kläger nahm am 05.03.2015 bei der Beklagten, einem Dienstleister für Web-Entwicklung & IT-Infrastruktur, im Rahmen einer außerbetrieblichen Weiterbildung ein rund viermonatiges Praktikum auf. Die Beklagte ist in C-Stadt ansässig und verfügt über einen zweiten Standort in G.. Der Kläger besuchte nach längerer Arbeitslosigkeit eine Umschulung zum Fachinformatiker Anwendungsentwicklung. Er hatte sich bislang nur mit der serverseitigen Webentwicklung (Backend, PHP und MySqlDatenbank) befasst. Über Erfahrungen in der clientseitigen Webentwicklung (Frontend, Browser - JavaScript und CSS) verfügte er nicht.
Am 08.04.2015 wandte sich der Kläger mit dem folgenden Sachverhalt an die Polizeiinspektion A-Stadt:
"...
Seit Dezember 2012 höre ich Stimmen, besonders seit dem 21.12.2012 wurde es besonders schlimm. Die Stimmen wurden von Behinderten ausgelöst. Es könnte auch nur eine Person gewesen sein. Es gibt wahrscheinlich nicht viele, die das können. Ich habe zu dem Sacherhalt eine PDF Datei erstellt. Dieses auf der dem Sachverhalt angefügten CD. Ich würde es gut finden, wenn sich jemand diese Datei anschaut. Die ganze Datei ist auf Englisch.
Hier ist die ganze Geschichte erzählt. Dieses jetzt mündlich wiederzugeben, wäre zu viel. Ich wollte, dass die Stimmen aufhören, damit ich aufhören kann zu rauchen. Ich habe auch schon angefangen, Blut zu husten. Dieses seit August 2014. Dieses ist dieses Jahr wiedergekommen, im März. Im Juni 2014 ist es zu einem Erdbeben gekommen. Dieses in L., USA. Dieses wurde durch Behinderte, Indigo Children, vorhergesagt. Ich fühle mich durch diese ganze Geschichte körperlich sehr erschöpft.
Ich habe mich erst heute getraut, zur Polizei zu gehen, um den Sachverhalt mitzuteilen.
..."
Von dieser Anzeige erfuhr die Beklagte zunächst nichts.
Vom 17.08. bis zum 09.10.2015 leistete der Kläger ein weiteres Praktikum bei der Beklagten ab.
Am 20.01.2016 schlossen die Parteien mit Wirkung zum 01.02.2016 einen unbefristeten Arbeitsvertrag mit einer Probezeit von sechs Monaten über eine Beschäftigung im Bereich Webprogrammierung. Darunter fallen nach dem Arbeitsvertrag folgende Aufgaben:
• Planen, Entwerfen und Realisieren von Software- und Internetprojekten für die Beklagte sowie Kunden der Beklagten,
• Entwurf, Realisierung und Anbindung von Datenbanken, Installationen und Erweiterung von Software zum internen Einsatz sowie für Kundenprojekte; Erstellung und Anbindung von Schnittstellen und Modulen,
• Beratung, Orientierung und Schulung zu allen Fragen der erstellten Produkte und Anwendungen,
• Hilfe und Unterstützung der Kollegen aus dem Bereich Systemadministration.
Der Kläger ist verpflichtet, im Bedarfsfall auch andere zumutbare Tätigkeiten zu übernehmen, die seinen Vorkenntnissen und Fähigkeiten entsprechen. Die Parteien vereinbarten ein monatliches Gehalt von € 1.800,- brutto bei einer regelmäßigen wöchentlichen Arbeitszeit von 40 Stunden. Die Beklagte erhielt für die ersten sechs Monate des Arbeitsverhältnisses einen Eingliederungszuschuss. Die Beklagte sagte dem in A-Stadt wohnhaften Kläger auf dessen Wunsch hin eine Beschäftigung am Standort C-Stadt zu, jedenfalls bis zum Abschluss der Umschulung und der Prüfung vor der IHK. Der Kläger arbeitete auch im Homeoffice.
Nachdem der Kläger zu Beginn des Arbeitsverhältnisses überwiegend serverseitig (Backend) mit PHP, MySqlDatenbank und Drupal (Content Management System - CMS) gearbeitet hatte, erhielt er im November 2016 erstmalig ein Projekt auf der Basis von WordPress (CMS), mit dem er noch keine Erfahrungen hatte. Das Projekt umfasste die komplette clientseitige Implementierung des Webdesigns mit CSS und JavaScript. Dem folgte ein weiteres WordPress-Projekt für das Versorgungswerk der Rechtsanwälte.
Am 24.02.2017 veröffentlichte der Kläger im Internet (...