Entscheidungsstichwort (Thema)

Ordentliche Kündigung und Maßregelungsverbot. Darlegungs- und Beweislast für einen Verstoß gegen das Maßregelungsverbot des § 612a BGB. Unterschiedliche Ausprägung von vertraglichen Haupt- und Nebenpflichten während der krankheitsbedingten Arbeitsunfähigkeit. Zumutbare Erfüllung von Nebenpflichten während der Arbeitsunfähigkeit

 

Leitsatz (amtlich)

1. Eine Kündigung aus Anlass einer Krankmeldung ist nur dann eine unzulässige Maßregelung, wenn gerade das zulässige Fernbleiben von der Arbeit sanktioniert werden soll.

2. Um eine Sanktionierung des zulässigen Fernbleibens von der Arbeit handelt es sich regelmäßig nicht, wenn die Arbeitgeberin während der Arbeitsunfähigkeit eine dem Arbeitnehmer mögliche und zumutbare Erfüllung von Nebenpflichten fordert, beispielsweise Auskünfte oder die Herausgabe von Arbeitsmitteln, und auf Verstöße mit einer Kündigung reagiert.

 

Leitsatz (redaktionell)

1. Der klagende Arbeitnehmer trägt die Darlegungs- und Beweislast für die Voraussetzungen des § 612a BGB und damit auch für den Kausalzusammenhang zwischen benachteiligender Maßnahme und zulässiger Rechtsausübung. Der Arbeitgeber muss sich dann nach § 138 Abs. 2 ZPO im Einzelnen zu diesem Vortrag erklären.

2. Der Arbeitgeber kann ggf. die Rückgabe von Arbeitsmitteln während der Arbeitsunfähigkeit des Arbeitnehmers verlangen. Derartige Nebenpflichten sind auch während der Arbeitsunfähigkeit zu erfüllen, ohne dass zugleich die Hauptleistungspflicht, nämlich die vertraglich festgelegte Arbeitsleistung, erbracht werden müsste.

 

Normenkette

BGB § 612a; ZPO § 138 Abs. 2; KSchG § 1 Abs. 1; EFZG § 5 Abs. 1

 

Verfahrensgang

ArbG Rostock (Entscheidung vom 02.06.2022; Aktenzeichen 1 Ca 1485/21)

 

Tenor

1. Die Berufung des Klägers gegen das Urteil des Arbeitsgerichts Rostock vom 02.06.2022 - 1 Ca 1485/21 - wird auf seine Kosten zurückgewiesen.

2. Die Revision wird nicht zugelassen.

 

Tatbestand

Die Parteien streiten über die Wirksamkeit einer ordentlichen Kündigung während der Wartezeit, insbesondere über einen Verstoß gegen das Maßregelungsverbot.

Der 1977 geborene Kläger nahm am 06.09.2021 bei der pflegebedürftigen Beklagten eine Beschäftigung als persönliche Assistenz mit einer regelmäßigen wöchentlichen Arbeitszeit von 32 Stunden und einem Stundenlohn von € 13,72 brutto auf. Zu den Aufgaben gehörte die Begleitung, Unterstützung und Hilfe im Alltag, also z. B. die Haushaltsführung, aber auch die Behandlungspflege der Beklagten.

Der Kläger leistete in den Monaten September, Oktober und November 2021 laut Verdienstabrechnung 135,5 Stunden, 187,5 Stunden und 178,0 Stunden. Unter dem 18.12.2021 beantragte er handschriftlich Erholungsurlaub für den Zeitraum vom 25.12. bis einschließlich 29.12.2021. Die Beklagte übergab dem Kläger daraufhin ein Formblatt für den Urlaubsantrag, das der Kläger am 19.12.2021 entsprechend dem vorangegangenen handschriftlichen Antrag ausfüllte.

Am 20.12.2021 suchte der Kläger eine Ärztin auf, die ihm für den Zeitraum vom 20.12.2021 bis einschließlich 04.01.2022 eine Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung ausstellte. Der Kläger übersandte der Beklagten die Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung per WhatsApp noch am selben Tag um 11:34 Uhr. Um 12:11 Uhr erhielt er von der Beklagten die folgende WhatsApp-Nachricht:

"Ich möchte dich bitten mir mein Post Fach Schlüssel abzugeben bzw alle Schlüssel außer Haustür und Wohnung. Bis morgen um 14 Uhr muss er da sein.

Um 15:27 Uhr übersandte ihm die Beklagte sodann eine weitere WhatsApp-Nachricht:

"Bis morgen um 14 Uhr fordere ich dich auf alle Schlüssel die zu mir gehören Wohnung, Tür unten, Brief Kasten sowie Post Fach Schlüssel und Save Schlüssel mir zurück zu geben. Ein ablegen im Briefkasten der Firmen Schlüssel ist unzulässig."

Der Kläger antwortete hierauf nicht.

Mit Schreiben vom 20.12.2021 kündigte die Beklagte das Arbeitsverhältnis mit dem Kläger fristgerecht zum nächst zulässigen Termin, den sie mit 10.01.2022 angab. Weiter heißt es in dem Schreiben:

"...

Dein abgegebener Krankenschein ist bis einschließlich 04.01.2022. Danach ist der Resturlaub bis 10.01.2022 angerechnet.

..."

Der Kläger gab die Schlüssel nicht wie gefordert am 21.12.2021 zurück. Das Kündigungsschreiben ging dem Kläger am 23.12.2021 per Einwurf-Einschreiben zu.

Der Kläger hat erstinstanzlich die Ansicht vertreten, dass die Kündigung unwirksam sei, da es sich um eine Maßregelung handele. Die Beklagte habe ihn angewiesen, trotz seiner Arbeitsunfähigkeit eine Arbeitsleistung zu erbringen, nämlich die Schlüssel abzugeben. Der Kläger habe von seinem Recht Gebrauch gemacht, die Arbeitsleistung abzulehnen, woraufhin er die Kündigung erhalten habe. Es sei für ihn unzumutbar gewesen, die Schlüssel zur Beklagten zu bringen, da er wegen Erschöpfung nicht mehr habe arbeiten können. Zudem sei es nicht notwendig gewesen, die Schlüssel sofort zurückzugeben, da die Beklagte über genügend andere Schlüssel verfügt habe. Die Aufforderung zur Rückgabe der Schlüssel sei als Kündigung zu verstehen gewesen. Auch bei anderen Arbei...

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