Entscheidungsstichwort (Thema)
Verhaltensbedingte Kündigung bei Alkoholsucht. Rückfall nach Entziehungskur
Leitsatz (amtlich)
Einzelfallentscheidung über die Wirksamkeit einer außerordentlichen, hilfsweise ordentlichen Kündigung wegen Rückfalls in Alkoholkrankheit nach stationärer Behandlung
Leitsatz (redaktionell)
Der Rückfall eines alkoholkranken Arbeitnehmers nach durchgeführter Entziehungskur kann auch bei zwischenzeitlicher längerer Abstinenz eine ordentliche verhaltensbedingte Kündigung sozial rechtfertigen.
Normenkette
KSchG § 1 Abs. 2
Verfahrensgang
ArbG Augsburg (Urteil vom 20.04.2005; Aktenzeichen 3 Ca 2997/04) |
Tenor
1. Auf die Berufung der Beklagten wird das Endurteil des Arbeitsgerichts Augsburg vom 20. April 2005 – Gz.: 3 Ca 2997/04 – geändert:
1.1 Es wird festgestellt, dass das Arbeitsverhältnis der Parteien nicht durch die fristlose Kündigung der Beklagten vom 15. Juni 2004 aufgelöst worden ist.
Im Übrigen wird die Klage abgewiesen.
1.2 Von den Kosten des Rechtsstreits trägt 1/3 die Beklagte und 2/3 der Kläger.
2. Gegen dieses Urteil wird die Revision nicht zugelassen.
Tatbestand
Die Parteien streiten darüber, ob eine seitens der Beklagten dem Kläger ausgesprochene außerordentliche fristlose oder hilfsweise ordentliche Kündigung dessen Arbeitsverhältnis aufgelöst hat.
Er ist am 9. September 1958 geboren, verheiratet, ohne Unterhaltspflichten und seit 1. Oktober 1990 gegen einen Monatslohn in Höhe von zuletzt durchschnittlich EUR 3.000,– brutto als Elektromonteur bei der Beklagten im Außendienst beschäftigt.
Bei dieser sind weit mehr als fünf Arbeitnehmer ausschließlich Auszubildender tätig; es gibt bei ihr einen Betriebsrat.
Beide Parteien sind tarifgebunden im Hinblick auf den Manteltarifvertrag für die gewerblichen Arbeitnehmer der Bayerischen Metall- und Elektroindustrie (MTV-Bay-Metall), nach dessen § 8 Abs. 2 die ordentliche Kündigungsfrist fünf Monate zum Ablauf eines Kalendermonats beträgt.
Die Beklagte hatte das Arbeitsverhältnis des Klägers bereits einmal am 16. Oktober 2002 außerordentlich fristlos gekündigt, weil dieser seit 25. September 2002 unentschuldigt gefehlt und sich erst am 10. Oktober 2002 wieder bei ihr gemeldet hatte; sein Fehlen beruhte auf Alkoholabhängigkeit. Am 22. Oktober 2002 kam allerdings eine Einigung der Parteien zu Stande. Danach nahm die Beklagte die dem Kläger ausgesprochene außerordentliche fristlose Kündigung vom 16. Oktober 2002 zurück und erteilte ihm stattdessen an diesem Tag eine Abmahnung. Gleichzeitig vereinbarten sie, dass der Kläger sich wegen seiner Alkoholkrankheit einer Therapie unterziehe; diese wurde im Februar 2003 abgeschlossen und als erfolgreich gewertet. Der Kläger hat nach dieser Therapie ein halbes Jahr lang weiter an einer entsprechenden Selbsthilfegruppe teilgenommen. Ab März 2003 wurde er erneut auf Montage geschickt, insbesondere in die sog. Ostblockländer.
Ab 17. Mai 2004 war der Kläger mit der Installation einer LITHOMAN-Anlage bei der Fa. K. in E. beauftragt. Dabei war er in einem Hotel untergebracht. Er erlitt in der Vorpfingstwoche einen Rückfall in seiner Alkoholkrankheit und war unstreitig am 25. und 26. Mai 2004 nicht mehr auf der Montagebaustelle. Seine Mitarbeiter informierten zunächst seinen Vorgesetzten bei der Beklagten in A. und danach auf entsprechende Aufforderung ihn, er möge Letzteren unverzüglich anrufen. Dies tat der Kläger am 27. Mai 2004 noch vom Hotel aus und wurde angewiesen, unverzüglich die Baustelle abzuschließen, nach Hause zu reisen und sich am darauf folgenden Freitag, den 28. Mai 2004, bei seinem Vorgesetzten zu melden. Ihm stand auch ein Firmenfahrzeug zur Heim- und Rückfahrt sowie zur Montagebaustelle zur Verfügung. Tatsächlich schloss der Kläger am 27. Mai 2004 noch die Baustelle ab und erklärte seinen dortigen Kollegen, die Heimreise anzutreten, wozu es dann aber nicht mehr kam. Er meldete sich auch nicht mehr bei seinem Vorgesetzten bei der Beklagten.
Der Kläger wurde danach von seiner Ehefrau und seinem erwachsenen Sohn aus E. abgeholt; dabei wurde auch das Firmenfahrzeug der Beklagten überführt. Am 1. Juni 2004 wurde die Beklagte darüber informiert, dass der Kläger nun wieder zu Hause sei. In einer ärztlichen Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung vom 2. Juni 2004 wurde bestätigt, dass er bis einschließlich 12. Juni 2004 arbeitsunfähig krank geschrieben ist; es handelte sich unstreitig um einen Rückfall seiner Alkoholerkrankung. Am 14. und 15. Juni 2004 war der Kläger „wieder in der Arbeit”.
Aus einem vom Kläger vorgelegten Anwesenheitsnachweis des „Gemeinnützigen Vereins zur Hilfe für Suchtkranke und Angehörige „K. e. V.” ergibt sich, dass er seit 11. Juni 2004 in kurzfristigen Abständen mehrmals monatlich – vom 2. bis 28. August 2004 während seines gesamten Urlaubs – an deren Betreuung teilnimmt.
Mit Schreiben vom 7. Juni 2004 hat die Beklagte ihren Betriebsrat darüber informiert, dass sie beabsichtige, das Arbeitsverhältnis des Klägers außerordentlich fristlos, hilfsweise ordentlich zum 30. November 2004 zu kündi...