Entscheidungsstichwort (Thema)
Unterrichtung des Betriebsrats vor Ausspruch einer Kündigung. Zustimmung des Betriebsrats zur außerordentlichen Kündigung eines Betriebsratsmitglieds. Gravierende Verletzung der Loyalitätspflicht des Arbeitnehmers
Leitsatz (redaktionell)
1. Der Arbeitgeber muss den Betriebsrat über alle Aspekte unterrichten, die ihn zur Kündigung des Arbeitnehmers veranlassen. Der Betriebsrat soll die Stichhaltigkeit und Gewichtigkeit der Kündigungsgründe überprüfen und sich darüber seine eigene Meinung bilden können. Er muss in die Lage versetzt werden, ggfs. eine Einflussnahme auf die Willensbildung des Arbeitgebers ausüben zu können.
2. Der Arbeitgeber darf nach den Grundsätzen des Vertrauensschutzes grundsätzlich auf die Wirksamkeit eines Zustimmungsbeschlusses nach § 103 BetrVG vertrauen, wenn ihm der Betriebsratsvorsitzende oder sein Stellvertreter mitteilt, der Betriebsrat habe die beantragte Zustimmung erteilt. Eine Erkundigungspflicht des Arbeitgebers über die Ordnungsmäßigkeit der Zustimmungsbeschlussfassung des Betriebsrats besteht nicht.
3. Schickt der Arbeitnehmer eine E-Mail an das türkische Generalkonsulat, in der er fälschlicherweise den Eindruck erweckt, beim Arbeitgeber sei die türkische Sprache generell verboten, und zieht er Parallelen zur türkischen Militärdiktatur, so fällt dies nicht unter den Begriff "Whistleblowing", sondern soll den Arbeitgeber in ein äußerst schlechtes Licht stellen und seinen Ruf schädigen, um ihn unter politischen Druck zu setzen. Dies stellt eine gravierende Verletzung der Loyalitätspflicht des Arbeitnehmers dar, die auch ohne vorherige Abmahnung zur fristlosen Kündigung des Arbeitsverhältnisses i.S.d. § 626 Abs. 1 BGB berechtigt.
Normenkette
BGB § 626; BetrVG §§ 26-28, 103, 102 Abs. 1 S. 2
Verfahrensgang
ArbG München (Entscheidung vom 16.01.2020; Aktenzeichen 12 Ca 4164/19) |
Tenor
1. Die Berufung des Klägers gegen das Endurteil des Arbeitsgerichtes A-Stadt - Az.: 12 Ca 4164/19 vom 16.01.2020 wird auf Kosten des Klägers zurückgewiesen.
2. Die Revision wird nicht zugelassen.
Tatbestand
Die Parteien streiten über die Wirksamkeit dreier außerordentlicher Kündigungen.
Der Kläger wurde am 00.00.0000 geboren, ist verheiratet und hat drei Kinder. Bei ihm ist ein Grad der Behinderung von 30 festgestellt und er wurde durch Bescheid der Bundeagentur für Arbeit vom 29.11.2005 einem schwerbehinderten Menschen gleichgestellt.
Der Kläger war seit 24.03.1994 bei der Beklagten - einem Automobilhersteller mit Sitz in A-Stadt - beschäftigt und wurde mit Wirkung ab 01.09.1994 zunächst als Mechaniker in ein unbefristetes Arbeitsverhältnis übernommen. Seit 01.11.2005 arbeitete er im Bereich TM-421 als Logistiker. Im Mai 2010 wurde er in den bei der Beklagten am Standort A-Stadt gebildeten 63-köpfigen Betriebsrat gewählt und gehörte seitdem dem Betriebsrat an, seit 01.05.2014 als freigestelltes Betriebsratsmitglied.
Unter dem 13.10.2014 und dem 04.05.2016 (zwei Abmahnungen) erhielt der Kläger Abmahnungen. Eine weitere Abmahnung erging unter dem 06.04.2016, worin dem Kläger vorgeworfen wurde, er habe ohne rechtfertigendem Grund an einem Arbeitsplatz einen Not-Stopp-Schalter betätigt und hierdurch den Betrieb unterbrochen. Bezüglich dieser Abmahnung führte der Kläger erfolglos einen Rechtsstreit auf Entfernung. Eine weitere Abmahnung erfolgte unter dem 06.04.2016, bezüglich der die Beklagte zur Entfernung aus der Personalakte verurteilt wurde, wobei die Abmahnung modifiziert erneut unter dem 01.02.2019 ausgesprochen wurde. Weitere Abmahnungen erfolgten unter dem 28.07.2016, 03.08.2016, 06.10.2017 und 01.02.2019. Am 15.07.2016 erfolgte eine Ermahnung wegen unzutreffender Beschuldigung der Beklagten gegenüber dem Gewerbeaufsichtsamt und hierdurch eingetretener Rufschädigung. Diese Ermahnung befand sich zuletzt nicht in der Personalakte des Klägers.
Im Frühjahr 2019 standen bei der Beklagten die Wahlen zum Aufsichtsrat an, und der Kläger war Kandidat für den Aufsichtsrat.
Im Zusammenhang damit gab es im Zeitraum November und Dezember 2018 Gespräche zwischen zwei der drei kleineren im Betriebsrat der Beklagten am Standort A-Stadt neben der W. noch vertretenen Gruppen, nämlich der Vereinigung "Z.", für die der Kläger maßgeblich tätig war, und der Vereinigung "Y.", für die unter anderem das Betriebsratsmitglied Herr X. an den Gesprächen teilnahm.
Am 14. Februar 2019 versandte der Kläger im Vorfeld der Delegiertenwahl für die Aufsichtsratswahl am Standort A-Stadt der Beklagten die als Anlage B20 vorgelegte E-Mail (Bl. 134f. d. A.) an über 20.000 Empfänger überwiegend innerhalb des Konzerns der Beklagten. Diese Nachricht lautet auszugsweise wie folgt: "(...) ich, A., bin Betriebsrat von Z. in A-Stadt und kämpfe gegen die korrupten Betriebsräte der W., die mit immer neuen Methoden ihre Macht sichern wollen. Natürlich sind nicht alle W. Betriebsräte korrupt.
Ich habe 2016 die Gewerkschaft Z. gegründet, damit wir für alle Mitarbeiter stärker und entschlossener auftreten können.
Zum ersten Mal wir...