Entscheidungsstichwort (Thema)
Nachträgliche Genehmigung der Einleitung eines Beschlussverfahrens. Bestimmtheitsgrundsatz im Beschlussverfahren. Offensichtliche Unzuständigkeit der Einigungsstelle. Mitbestimmung des Betriebsrats bei abstrakt-generellen Grundsätzen der Lohnfindung. Mitbestimmung des Betriebsrats bei leistungsbezogenen Entgelten
Leitsatz (redaktionell)
1. Die Einleitung des arbeitsgerichtlichen Beschlussverfahrens durch den Betriebsrat bedarf eines Beschlusses des Betriebsrats. Ist dieser unterblieben oder fehlerhaft erfolgt, ist der für den Betriebsrat gestellte Antrag als unzulässig abzuweisen. Der Betriebsrat kann eine bereits erfolgte Einleitung eines Beschlussverfahrens durch nachträgliche - bis zum Ergehen einer Prozessentscheidung mögliche - Beschlussfassung genehmigen.
2. Im Beschlussverfahren muss ein Antrag ebenso bestimmt sein wie im Urteilsverfahren. § 253 Abs. 2 Nr. 2 ZPO gilt auch für das Beschlussverfahren und die in ihm gestellten Anträge. Der jeweilige Streitgegenstand muss so konkret umschrieben werden, dass der Umfang der Rechtskraftwirkung für die Beteiligten nicht zweifelhaft ist.
3. Von einer offensichtlichen Unzuständigkeit der Einigungsstelle im Sinn des § 100 Abs. 1 Satz 2 ArbGG ist nur dann auszugehen, wenn bei fachkundiger Beurteilung durch das Gericht sofort erkennbar ist, dass ein Mitbestimmungsrecht des Betriebsrats in der fraglichen Angelegenheit unter keinem denkbaren rechtlichen Gesichtspunkt in Frage kommt.
4. Die Besuchshäufigkeit hinsichtlich einzelner Kunden bestimmt den Umfang der Arbeitsleistung und die Bedingungen, unter denen die Arbeit von den Verkaufsfahrern zu verrichten ist. Dieses und die Lohnhöhe sind aber nicht Gegenstand des Mitbestimmungsrechts nach § 87 Abs. 1 Nr. 10 BetrVG. Bei der Mitbestimmung bezüglich der betrieblichen Lohngestaltung geht es (nur) um die Strukturformen des Entgelts einschließlich ihrer näheren Vollzugsformen.
5. Bei leistungsbezogenem Entgelt bedarf es der Ermittlung einer Normalleistung, die zur tatsächlichen Leistung des Arbeitnehmers in Bezug gesetzt wird. Vergleichbare leistungsbezogene Entgelte sind deshalb solche Vergütungen, bei denen die Leistung des Arbeitnehmers gemessen und mit einer Bezugsleistung verglichen wird, und bei denen sich die Höhe der Vergütung unmittelbar nach dem Verhältnis beider Leistungen zueinander bestimmt.
Normenkette
ArbGG § 100 Abs. 1; BetrVG § 87 Abs. 1 Nr. 7, Abs. 1 10, Abs. 1 11; ZPO § 253 Abs. 2 Nr. 2; ArbSchG § 3 Abs. 1, § 5; BetrVG § 76 Abs. 2-3
Verfahrensgang
ArbG Ludwigshafen (Entscheidung vom 21.12.2022; Aktenzeichen 3 BV 16/22ArbG) |
Tenor
Die Beschwerde des Beteiligten zu 1) gegen den Beschluss des Arbeitsgerichts Ludwigshafen am Rhein vom 21. Dezember 2022 - 3 BV 16/22 - wird zurückgewiesen.
Gründe
A
Die Beteiligten streiten zuletzt über die Errichtung einer Einigungsstelle mit dem Regelungsgegenstand "Einführung und Vergütung 2/4-Wochen-Modell und der Regelungen zu entsprechenden Fragen des Arbeits- und Gesundheitsschutzes (zum Beispiel psychische Gefährdungsbeurteilung)".
Die Beteiligte zu 2) (im Folgenden: Arbeitgeberin) ist ein Unternehmen im Direktvertrieb von Tiefkühl-Lebensmitteln und Eisspezialitäten und beschäftigt in A-Stadt derzeit ca. 65 Arbeitnehmer, darunter etwa 50 Verkaufsfahrer. Der Beteiligte zu 1) ist der bei der Arbeitgeberin gebildete fünfköpfige Betriebsrat (im Folgenden: Betriebsrat).
Die bei der Arbeitgeberin beschäftigten Verkaufsfahrer werden nach Maßgabe der Betriebsvereinbarung über eine direktvertriebsorientierte Verkäufer-Entlohnung Nr. 283 vom 20./ 21. Juli 2015 (Bl. 8 ff. d. A.; im Folgenden: BV Nr. 283) vergütet, die zwischen der Rechtsvorgängerin der Arbeitgeberin, der C. Z. GmbH & Co. KG und deren Betriebsrat geschlossen wurde und räumlich für alle Niederlassungen und persönlich für alle bei der Gesellschaft angestellten Verkaufsfahrer gilt. Die ursprünglich bis 31. September 2016 befristete Vereinbarung wurde von den Betriebsparteien verlängert, zuletzt durch die Betriebsvereinbarung Nr. 300 zur Anpassung des Vergütungssystems (Übergangsmodell 2022/23) (im Folgenden: BV Nr. 300).
Die BV Nr. 283 sieht für die Vergütung der Verkaufsfahrer (VF) ein sog. "Statusmodell" vor (VF in Einarbeitung, Bronze-VF, Silber-VF, Gold-VF, Platin-VF), dessen Ausgestaltung sich im Wesentlichen aus § 2 Abs. 1 BV Nr. 283 iVm. deren Anlagen 1 - 3 ergibt. Der Status des jeweiligen Verkaufsfahrers wird hierbei in erster Linie von dem durch diesen erzielten Jahresumsatz ("Statusumsatz") bestimmt. Den Status Bronze-VF erhalten Verkaufsfahrer mit einem Statusumsatz von unter 295.000 EUR pro Jahr, den Status Silber-VF erhalten Verkaufsfahrer mit einem Statusumsatz von über 295.000 EUR pro Jahr, den Status Gold-VF erhalten Verkaufsfahrer mit einem Statusumsatz von über 335.000 EUR pro Jahr und den Status Platin-VF erhalten Verkaufsfahrer mit einem Statusumsatz von über 365.000 EUR pro Jahr. Überdies kann der jeweilige Status auch bei Erzielung von in der Anlage 1 zur Betriebsvereinbar...