Entscheidungsstichwort (Thema)
Arbeitskampf. Betriebsrat. Geheimhaltungspflichten. Neutralitätsgebot. Streik. Tarifkommission. Unterrichtung. Unterrichtungsanspruch des Betriebsrats zur Einstellung von Leiharbeitsbeschäftigten während eines Arbeitskampfes. Feststellungsantrag des Betriebsrats bei personeller Verflechtung handelnder Personen auf betrieblicher und gewerkschaftlicher Ebene
Leitsatz (amtlich)
Der Unterrichtungsanspruch des Betriebsrats aus § 80 Abs. 2 BetrVG besteht auch während der Dauer von Arbeitskampfmaßnahmen im Betrieb (Anschluss an BAG 10.12.2002 - 1 ABR 7/02)
Normenkette
GG Art. 9 Abs. 3; BetrVG § 80 Abs. 2, § 79 Abs. 1, § 74 Abs. 2; ZPO § 253 Abs. 2 Nr. 2, § 256 Abs. 1
Verfahrensgang
ArbG Mainz (Entscheidung vom 24.10.2012; Aktenzeichen 10 BV 24/12) |
Tenor
1.
Die Beschwerde der Arbeitgeberin gegen den Beschluss des Arbeitsgerichts Mainz vom 24.10.2012, Az.: 10 BV 24/12, wird mit der Maß-gabe zurückgewiesen, dass die Beschlussformel auf den Hilfsantrag des Betriebsrats wie folgt neu gefasst wird:
Es wird festgestellt, dass die Arbeitgeberin verpflichtet ist, dem Betriebsrat für den Zeitraum von Arbeitskampfmaßnahmen in ihrem Betrieb C. M. unter Namensnennung jeweils vor Umsetzung der Maßnahme mitzuteilen, welche Überstunden, Schichtverschiebungen, kurzfristige Versetzungen, Einstellungen sowie Beschäftigung von Mitarbeitern von fremden Firmen beabsichtigt sind.
2.
Hinsichtlich des Hauptantrags des Betriebsrats wird das Verfahren eingestellt.
3.
Die Rechtsbeschwerde wird nicht zugelassen.
Gründe
I. Die Beteiligten streiten über Unterrichtungsrechte des Betriebsrats während eines Arbeitskampfs.
Die zu 2) beteiligte Arbeitgeberin betreibt bundesweit über 70 Kinos. In ihrem Kino C. M. beschäftigt sie ca. 120 Arbeitnehmer, die einen Betriebsrat gewählt haben, den Beteiligten zu 1). Die Arbeitgeberin stand bis zum 21.12.2012 mit der Gewerkschaft ver.di in einer Tarifauseinandersetzung. Im Zuge dieser Auseinandersetzung wurde das C. M. seit Sommer 2012 mehrfach bestreikt. Um die dadurch bedingten Personalausfälle auszugleichen, setzte die Arbeitgeberin Mitarbeiter eines Personaldienstleistungsunternehmens ein und versetzte Servicekräfte aus anderen Kinos. Den Betriebsrat unterrichtete sie nicht.
Zur näheren Darstellung des erstinstanzlichen Sach- und Streitstandes wird zur Vermeidung von Wiederholungen in analoger Anwendung des § 69 Abs. 2 ArbGG Bezug genommen auf den tatbestandlichen Teil des Beschlusses des Arbeitsgerichts Mainz vom 24.10.2012 (dort S. 2-6 = Bl. 126-130 d.A.).
Der Betriebsrat hat erstinstanzlich beantragt,
1.
der Arbeitgeberin aufzugeben, ihm für den Zeitraum von Arbeitskampfmaßnahmen in ihrem Betrieb unter Namensnennung vor Umsetzung der jeweiligen Maßnahme mitzuteilen, welche Überstunden, Schichtverschiebungen, kurzfristige Versetzungen, Einstellungen sowie Beschäftigung von Mitarbeitern von fremden Firmen beabsichtigt sind,
2.
hilfsweise festzustellen, dass die Arbeitgeberin verpflichtet ist, ihm für den Zeitraum von Arbeitskampfmaßnahmen in ihrem Betrieb unter Namensnennung jeweils vor Umsetzung der Maßnahme mitzuteilen, welche Überstunden, Schichtverschiebungen, kurzfristige Versetzungen, Einstellungen sowie Beschäftigung von Mitarbeitern von fremden Firmen beabsichtigt sind.
Die Arbeitgeberin hat beantragt,
die Anträge zurückzuweisen.
Das Arbeitsgericht hat dem Hauptantrag des Betriebsrats mit Beschluss vom 24.10.2012 stattgegeben, weil der Arbeitskampf damals noch andauerte. Zur Begründung hat das Arbeitsgericht im Wesentlichen ausgeführt, der Betriebsrat habe nach der Rechtsprechung des Bundesarbeitsgerichts (10.12.2002 - 1 ABR 7/02; 13.12.2011 - 1 ABR 2/10) auch während der Dauer von Arbeitskampfmaßnahmen Anspruch auf vorherige Unterrichtung über die im Antrag zu 1) genannten Maßnahmen der Arbeitgeberin. Hierdurch werde die verfassungsrechtlich gewährleistete Arbeitskampffreiheit der Arbeitgeberin bei typisierender Betrachtungsweise nicht spürbar beeinträchtigt. Auch im konkreten Streitfall gelte nichts anderes. Die Mitgliedschaft von drei Betriebsratsmitgliedern in der streikführenden Gewerkschaft sei unerheblich, weil sich gewerkschaftlich organisierte Betriebsratsmitglieder am Streik beteiligen dürfen. Ebenfalls unerheblich seien die Mitgliedschaft von Betriebsratsmitgliedern in der Tarifkommission sowie die behauptete Übernahme der örtlichen Streikleitung. Soweit die Arbeitgeberin darauf abstelle, dass der Betriebsratsvorsitzende das Renovierungskonzept des C. M. im Internet-Netzwerk Facebook (in einer nur für Mitarbeiter zugänglichen Gruppe) veröffentlicht habe, lasse sich auch hieraus eine Beeinträchtigung der Arbeitskampfparität nicht herleiten. Zum einen habe die Renovierung des Kinos mit den streikbedingten Maßnahmen der Arbeitgeberin erkennbar nichts zu tun. Zum anderen stelle das Verhalten des Betriebsratsvorsitzenden keinen Geheimnisverrat i.S.d.. § 79 BetrVG dar, weil das Konzept nicht ausdrücklich als geheimhaltungsbedürftig bezeichnet worden sei. Auch der Hinweis ...