Entscheidungsstichwort (Thema)
Entgeltfortzahlungsanspruch eines Arbeitnehmers im Krankheitsfall für die Zeit der Arbeitsunfähigkeit
Leitsatz (redaktionell)
Auch der Anspruch auf Entgeltfortzahlung kann im Krankheitsfall in Höhe des gesetzlichen Mindestlohns einer Ausschlussfrist nicht unterworfen werden. Da ein arbeitsunfähiger Arbeitnehmer so zu stellen ist, als hätte er gearbeitet, hat er auch bei Vorliegen der unter den in § 3 Abs. 1 EFZG genannten Voraussetzungen und im dort bezeichneten Zeitraum jedenfalls den gesetzlichen Mindestlohn nach § 1 Abs. 2 MiLoG als untere Grenze des fortzuzahlenden Entgelts zu erhalten. Von § 3 S. 1 MiLoG ist unmittelbar lediglich der Anspruch auf den gesetzlichen Mindestlohn für geleistete Arbeit umfasst. Verpflichtet aber ein Entgeltfortzahlungstatbestand den Arbeitgeber, den Arbeitnehmer so zu stellen, als hätte er gearbeitet, und wird der Mindestlohn von dem Entgeltfortzahlungsanspruch mitgestaltet, erfordert es der Schutzzweck des § 3 S. 1 MiLoG, den Entgeltfortzahlungsanspruch entsprechend dieser Norm in Höhe des gesetzlichen Mindestlohns entsprechend zu sichern.
Normenkette
EFZG § 3 Abs. 1, § 4 Abs. 1, §§ 7, 9 Abs. 1; MiLoG § 3; SGB X § 115; EFZG § 3 Abs. 1 S. 1
Verfahrensgang
ArbG Ludwigshafen (Entscheidung vom 29.03.2023; Aktenzeichen 1 Ca 1164/22) |
Tenor
1. Auf die Berufung des Klägers wird das Urteil des Arbeitsgerichts Ludwigshafen am Rhein vom 29. März 2023, Az. 1 Ca 1164/22, unter Zurückweisung des Rechtsmittels im Übrigen, teilweise abgeändert und wie folgt neu gefasst:
Die Beklagte wird verurteilt, an den Kläger € 1.672,00 brutto abzüglich übergegangener Ansprüche in Höhe von € 469,05 netto zu zahlen. Die weitergehende Klage wird abgewiesen.
2. Von den Kosten des Rechtsstreits hat die Beklagte 57 % und der Kläger 43 % zu tragen.
3. Die Revision wird nicht zugelassen.
Tatbestand
Die Parteien streiten über Entgeltfortzahlung im Krankheitsfall.
Der 1972 geborene Kläger war seit dem 9. August 2021 bei der Beklagten als Sicherheitsmitarbeiter zu einem Stundenlohn von € 11,00 brutto angestellt; er wurde im Impfzentrum Z. eingesetzt. Das Arbeitsverhältnis endete durch eine Kündigung der Beklagten "in der Probezeit" vom 29. September 2021, zugegangen am 30. September 2021.
Der schriftliche Arbeitsvertrag vom 4. August 2021 enthält ua. folgende Regelung:
"§ 3 Probezeit
1. Die ersten 6 Monate des Arbeitsverhältnisses gelten als Probezeit.
2. Während der Probezeit kann das Arbeitsverhältnis von jeder Vertragspartei ohne Angaben von Gründen mit der gesetzlichen Kündigungsfrist von zwei Wochen schriftlich gekündigt werden.
...
§ 25 Ausschlussfrist
1. Alle beiderseitigen Ansprüche aus diesem Arbeitsverhältnis und solche, die mit diesem Arbeitsverhältnis in Verbindung stehen, verfallen, wenn sie nicht innerhalb der Ausschlussfrist von drei Monaten gegenüber der jeweils anderen Vertragspartei in Textform erhoben werden. Die Ausschlussfrist gilt auch im Fall der Beendigung des Arbeitsverhältnisses.
2. Die Ausschlussfrist beginnt, wenn der Anspruch entstanden ist und der Anspruchsteller von den anspruchsbegründenden Umständen Kenntnis erlangt oder ohne grobe Fahrlässigkeit erlangen müsste.
3. Diese Ausschlussregelung gilt nicht für die Haftung für Verletzung des Lebens, des Körpers oder der Gesundheit sowie für eine Haftung für sonstige Schäden, die auf einer vorsätzlichen oder grob fahrlässigen Pflichtverletzung beruht.
4. Diese Ausschlussregelung gilt nicht für Ansprüche des Arbeitnehmers auf den jeweils geltenden gesetzlichen Mindestlohn nach dem Mindestlohngesetz oder für Ansprüche auf Mindestentgelt nach dem Arbeitnehmerentsendegesetz."
Die Beklagte erstellte mit Datum vom 8. September 2021 eine Lohnabrechnung für August 2021 (191,50 Stunden x € 11,00 = € 2.106,50 brutto) und mit Datum vom 11. Oktober 2021 eine Lohnabrechnung für September 2021 (143,5 Stunden x € 11,00 = € 1.578,50 brutto), in der das Austrittsdatum "29.09.2021" vermerkt ist.
Der Kläger war seit dem 17. September 2021 arbeitsunfähig krank. Ausweislich der ärztlichen Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung vom 27. September 2021 wurde er vom 17. bis 24. September 2021 stationär behandelt (Diagnose laut ICD-Code I 63.5 G = Hirninfarkt). Der Kläger bezog ausweislich einer Bescheinigung der AOK ab 30. September 2021 Krankengeld von kalendertäglich € 34,51 netto. Vom 5. Oktober bis voraussichtlich 2. November 2021 nahm er ausweislich einer Bescheinigung des Zentrums für ambulante Rehabilitation am Klinikum Y. (ZAR) an einer medizinischen Rehabilitationsmaßnahme teil. Die Deutsche Rentenversicherung Bund (DRB) zahlte ihm ab 5. Oktober Übergangsgeld von kalendertäglich € 29,65 netto. Mit Schreiben vom 8. Dezember 2021 teilte der Kläger der Beklagten unter dem Betreff "Arbeitseinkommen" mit, dass ihm nach seiner Berechnung "im Wege der Entgeltfortzahlung Beträge in Höhe von wenigstens 2.108.87 EUR" zustünden. Sollten die Beklagte diese Summe bis 17. Dezember 2021 begleichen, betrachte er alle Ansprüche für abgegolten. Weil die Beklagte k...