Entscheidungsstichwort (Thema)

Verfall des Anspruchs auf tariflichen Mehrurlaub bei stillschweigend vereinbartem Ruhen des Arbeitsverhältnisses zum Bezug von Arbeitslosengeld während fortbestehender Arbeitsunfähigkeit. Eigenständige Fristenregelung zum tariflichen Mehrurlaub für Beschäftigte bei den Stationierungsstreitkräften. Unbegründete Klage auf Urlaubsabgeltung für tariflichen Mehrurlaub

 

Leitsatz (redaktionell)

1. Ein Arbeitsverhältnis ruht, wenn die wechselseitigen Hauptpflichten (Arbeitsleistung und Vergütung) suspendiert sind und somit beide Seiten die Erbringung der jeweiligen Leistungen nicht mehr verlangen und durchsetzen können; bezieht ein Arbeitnehmer bei fortbestehender Arbeitsunfähigkeit auf seinen Antrag hin nach Ablauf der Krankengeldzahlungen Arbeitslosengeld gemäß § 125 Abs. 1 SGB III, ist zu vermuten, dass die Parteien zumindest stillschweigend das Ruhen des Arbeitsverhältnisses vereinbart haben.

2. Gemäß § 1 BUrlG entsteht der gemäß § 13 Abs. 1 Satz 1 und 3 BUrlG unabdingbare Urlaubsanspruch unabhängig vom Umfang der Arbeitsleistung, da er nur an das Bestehen des Arbeitsverhältnisses und die Erfüllung der Wartezeit gemäß §§ 1, 4 BUrlG und nicht an ein etwaiges Erholungsbedürfnis geknüpft ist; die Beschäftigten müssen sich diesen Anspruch folglich nicht durch tatsächliche Arbeitsleistung "verdienen".

3. Auch in einem zum Bezug von Arbeitslosengeld bei fortdauernder Arbeitsunfähigkeit konkludent vereinbarten ruhenden Arbeitsverhältnis entsteht der gesetzliche Mindesturlaubsanspruch; der mit Art. 7 Abs. 1 der Richtlinie 88/2003/EG vom 04.11.2003 allen Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmern unmittelbar verliehene Anspruch auf bezahlten Jahresurlaub darf bei ordnungsgemäß krankgeschriebenen Beschäftigten nicht von der Voraussetzung abhängig gemacht werden, dass sie während des staatlich festgelegten Bezugszeitraums tatsächlich gearbeitet haben.

4. Bei langjährig arbeitsunfähigen Beschäftigten ist § 7 Abs. 3 Satz 3 BUrlG unionsrechtskonform so auszulegen ist, dass der Urlaubsanspruch 15 Monate nach Ablauf des Urlaubsjahres verfällt.

5. Die Tarifvertragsparteien können Urlaubs- und Urlaubsabgeltungsansprüche, die den von Art. 7 Abs. 1 der Richtlinie 88/2003/EG gewährleisteten und von § 3 Abs. 1 BUrlG begründeten Anspruch auf Mindesturlaub von 4 Wochen übersteigen (tariflicher Mehrurlaub), frei regeln und auch bei fortdauernder Arbeitsunfähigkeit wirksam den Verfall von tariflichen Mehrurlaubsansprüchen am Ende des Urlaubsjahres und/oder eines kurzen Übertragungszeitraums von wenigen Monaten vorsehen.

6. § 33 Nr. 6 Buchst. d TV-AL II enthält ein eigenständiges und vom Bundesurlaubsgesetz abweichendes Fristenregime, nach dem der tarifliche Mehrurlaubsanspruch auch bei fortdauernder Arbeitsunfähigkeit schon vor dem Ablauf von 15 Monaten nach dem Ende des Urlaubsjahres verfallen kann; angesichts der Eigenständigkeit bestehen keine Bedenken, die Teilurlaubsregelung des § 33 Nr. 4 TVAL II auf den tarifvertraglichen Mehrurlaub anzuwenden, auch wenn die Auslegung dieser Norm den für den Mindesturlaub nach dem Bundesurlaubsgesetz geltenden Grundsätzen widerspricht.

 

Normenkette

BUrlbG § 7 Abs. 4; RL 2003/88/EG Art. 7; TV AL II § 33; BUrlG § 13 Abs. 1 Sätze 1, 3; SGB III § 125 Abs. 1; TV-AL II § 33 Nrn. 4, 6 Buchst. d

 

Verfahrensgang

ArbG Ludwigshafen (Entscheidung vom 25.06.2015; Aktenzeichen 5 Ca 1227/14)

 

Tenor

  1. Auf die Berufung der Beklagten wird das Urteil des Arbeitsgerichts Ludwigshafen - Auswärtige Kammern Landau - vom 25.06.2015 - 5 Ca 1227/14 - aufgehoben, teilweise abgeändert und zur Klarstellung insgesamt wie folgt neu gefasst:

    1. Die Beklagte wird verurteilt, 278,76 € brutto an die Klägerin zu zahlen.
    2. Die weitergehende Klage wird abgewiesen.
    3. Die Kosten haben zu 9/10 die Klägerin und zu 1/10 die Beklagte zu tragen.
  2. Die Kosten des Berufungsverfahrens haben zu 9/10 die Klägerin und zu 1/10 die Beklagte zu tragen.
  3. Die Revision wird nicht zugelassen.
 

Tatbestand

Die Parteien des vorliegenden Rechtsstreits streiten darüber ob der Klägerin gegenüber ihrem Arbeitgeber noch ein Urlaubsabgeltungsanspruch für die Jahre 2013 und 2014 zusteht.

Die Klägerin war von 1991 bis 2014 bei der Beklagten als Arbeiterin in G. aufgrund eines schriftlichen Arbeitsvertrages von 1991, seit 1992 als Angestellte gemäß dem Arbeitsvertrag von 1992 in der 5- Tagewoche in der Materialverwaltung beschäftigt. Auf das Arbeitsverhältnis fand der Tarifvertrag des TV-AL II Anwendung. Die Klägerin war eingruppiert in die Lohn- und Gehaltsgruppe C 5 a. Das tarifliche Grundgehalt betrug 2817,63 €. Die Klägerin war vollzeitbeschäftigt. Die Klägerin ist nicht schwerbehindert.

Das Arbeitsverhältnis endete durch krankheitsbedingte Kündigung. Die Parteien haben am 09.09.2014 im Kündigungsschutzrechtsstreit vor dem Arbeitsgericht Ludwigshafen - Auswärtige Kammern Landau - einen Vergleich abgeschlossen - 6 Ca 436/14. Der Vergleich enthält keine Regelung zur Urlaubsabgeltung. Die Klägerin war seit August 2011 bis zum Ende des Arbeitsverhältnisses durchgehen...

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