Entscheidungsstichwort (Thema)
Sozialrechtliches Verwaltungsverfahren. kein Anspruch des Arbeitgebers auf Akteneinsicht in die Unfallakten trotz Einwilligung der Beschäftigten. faktische Zwangssituation. Generalprävention. Vermeidung eines Loyalitätskonflikts. Sozialdatenschutz. Individualinteresse des Arbeitgebers. berechtigtes Interesse des Arbeitnehmers. Verweigerung der Akteneinsicht gilt als Verwaltungsakt gem § 31 SGB 10
Leitsatz (amtlich)
1. Der Arbeitgeber hat im Rechtsstreit um einen vom Unfallversicherungsträger erhobenen Beitragszuschlag keinen Anspruch auf Akteneinsicht in die seine Beschäftigten betreffenden Unfallakten, die beim Versicherungsträger zur Abwicklung der Arbeitsunfälle der Versicherten entstanden sind und dem Beitragszuschlag zugrunde liegen.
2. Die Einwilligung des Beschäftigten zur Offenlegung seiner Sozialdaten gegenüber dem Arbeitgeber ist rechtlich unbeachtlich. Der Schutz der Sozialdaten beinhaltet hier die Vermeidung eines Loyalitätskonflikts der Beschäftigten, weshalb aus generalpräventiven Gründen die berechtigten Interessen Dritter an der Geheimhaltung der Sozialdaten auch im Hinblick auf zukünftige Fälle das Individualinteresse des Arbeitgebers an der Akteneinsicht übersteigen.
Orientierungssatz
In der Verweigerung einer Akteneinsicht gegenüber dem Arbeitgeber in die Unfallakten seiner Beschäftigten liegt ein Verwaltungsakt des Unfallversicherungsträgers. Soweit die Schreiben ihrer äußeren Form nach nicht als Verwaltungsakt zu erkennen sind, ua fehlt eine Rechtsbehelfsbelehrung, ist dies für die rechtliche Zuordnung unerheblich.
Nachgehend
Tenor
Die Berufung der Klägerin gegen das Urteil des Sozialgerichts Konstanz vom 22. Juni 2010 wird zurückgewiesen.
Die Klägerin trägt die Kosten des Verfahrens.
Die Revision wird zugelassen.
Tatbestand
Zwischen den Beteiligten ist die Höhe des von der Beklagten festgesetzten Beitrags der Klägerin zur gesetzlichen Unfallversicherung und der Anspruch der Klägerin auf Einsicht in Aktenunterlagen der Beklagten streitig.
Die Klägerin, eine Gesellschaft mit beschränkter Haftung (GmbH), ist ein Mitgliedsunternehmen der Beklagten und wendet sich gegen den Beitragsbescheid der Beklagten vom 25.04.2008 für das Beitragsjahr 2007, mit dem ein Gesamtbeitrag von 56.604,49 € festgesetzt wurde. Anteilig enthält der Beitrag ein aus den Lohnnachweisen für das Jahr 2007 errechneter Umlagebeitrag in Höhe von 42.106,36 € und einen Beitragszuschlag in Höhe von 12.631,91 €, neben Umlagen für Insolvenzgeldzahlung an die Bundesagentur für Arbeit und betriebsärztlichen/arbeitsmedi-zinischen Dienst (865,22 € + 1001,00 €).
Gegen den Beitragsbescheid legte die Klägerin am 13.05.2008 Widerspruch ein, denn der im Beitrag enthaltene Beitragszuschlag lasse sich nicht nachvollziehen. Die Beklagte übermittelte mit Aufklärungsschreiben vom 20.05.2008 mit Hinweis auf die Satzungsbestimmung eine Aufstellung der für das Beitragsausgleichsverfahren herangezogenen Kosten. Darin war unter anderem ein Kostenaufwand in Höhe von 18.934,15 € für den bei der Klägerin beschäftigten Versicherten B. (B) wegen des Unfalls am 17.11.2006 enthalten.
Die Klägerin begehrte eine Kostenaufstellung über die Behandlungskosten des Versicherten B (Schreiben vom 19.06.2008 und 04.07.2008). Die in Ansatz gebrachten Kosten dieses Versicherungsfalls seien nicht allein unfallursächlich, sondern seien auch durch das Verhalten des Versicherten B bestimmt, der nicht die naheliegende nächste unfallchirurgische Praxis, sondern das Krankenhaus in Ü. aufgesucht habe.
Mit Schreiben vom 17.07.2008 und 29.07.2008 teilte die Beklagte der Klägerin mit, sie könne die Unfallkosten nicht detailliert darlegen, weil die Übermittlung von Sozialdaten nur bei bestehender Übermittlungsbefugnis zulässig sei. Die Klägerin bot die Vorlage der Einwilligung des Versicherten B in die Übermittlung seiner Sozialdaten an und verwies darauf, dass die Beklagte die Rechtmäßigkeit ihrer Forderung begründen müsse (Schriftsatz des Klägerbevollmächtigten vom 31.07.2008).
Mit Widerspruchsbescheid vom 14.08.2008 wies die Beklagte den Widerspruch zurück. Der Beitragsbescheid sei rechnerisch zutreffend und daher rechtmäßig. Substantiierte Einwendungen gegen den erhobenen Beitragszuschlag habe die Klägerin nicht vorgetragen. Dem Versicherten stehe es zu, ein Krankenhaus anstelle einer unfallchirurgischen Praxis aufzusuchen. Ein Informationsrecht der Klägerin bestehe nicht. Nach Auffassung des Bundesdatenschutzbeauftragten gebe es hierfür keine Rechtsgrundlage. Die Klägerin habe kein Recht auf Akteneinsicht oder entsprechende Detailinformationen, denn an dem Feststellungsverfahren zwischen Berufsgenossenschaft und Versicherten sei sie nicht beteiligt. Selbst mit Vorlage einer Einverständniserklärung des Versicherten B sei keine Akteneinsicht zu gewähren. Der Versicherte sei nicht befugt, über die Interessen derjenigen Ärzte zu disponieren, die seine Behandlung durchgeführt hätten. Die Ärzte besäße...