Entscheidungsstichwort (Thema)
Krankenversicherung. Erlass von Beitragsschulden. Inanspruchnahme von keinerlei Sachleistung im Erlasszeitraum. keine Voraussetzung. Verzicht auf Kostenerstattung. Nachwirkender Versicherungsschutz. Anordnung der aufschiebenden Wirkung
Leitsatz (amtlich)
Der Anspruch auf Erlass von Beitragsschulden gem. § 256 a SGB 5 setzt nicht offensichtlich voraus, dass im Erlasszeitraum keinerlei Sachleistung in Anspruch genommen wurde.
Normenkette
SGB V § 256b Abs. 2, 4 S. 1, § 5 Abs. 1 Nr. 13, § 19 Abs. 2; SGG § 86a Abs. 2 Nr. 1, § 86b Abs. 1 S. 1 Nr. 2
Tenor
Auf die Beschwerde des Antragstellers wird der Beschluss des Sozialgerichts Berlin vom 14. August 2014 aufgehoben. Die aufschiebende Wirkung der Klage gegen den Bescheid der Antragsgegnerin vom 6. Mai 2013 in der Gestalt des Bescheides vom 1. November 2013 und des Widerspruchsbescheides vom 6. Mai 2014 wird angeordnet, soweit die Antragsgegnerin für die Zeit vom 14. August 2010 bis 31. März 2013 Beiträge, Säumniszuschläge und Mahngebühren in Höhe von 5.001,04 € einfordert.
Die Antragsgegnerin hat die außergerichtlichen Kosten des Antragstellers zu erstatten.
Gründe
I.
Streitig ist eine Beitragsnachforderung.
Der 1952 geborene Antragsteller war bis zum 13. August 2010 bei der Beklagten wegen einer Beschäftigung pflichtversichert. Bereits seit dem 1. Juli 2010 erhielt er von dem Jobcenter Charlottenburg-Wilmersdorf Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhaltes. Am 16. Augst 2010 suchte der Antragsteller die Vertragsärztin I S-S auf, die ihm eine Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung für die Zeit vom 14. August 2010 bis 28. August 2010 ausstellte.
Am 11. April 2013 zeigte der Antragsteller bei der Antragsgegnerin das Bestehen einer Pflichtversicherung gemäß § 5 Abs. 1 Nr. 13 Sozialgesetzbuch Fünftes Buch - SGB V - an. Durch Bescheid vom 6. Mai 2013 teilte die Antragsgegnerin dem Antragsteller mit, dass seine Mitgliedschaft mit dem 14. August 2010 beginne. Ab dem 1. Januar 2013 seien laufende Beiträge zur Kranken- und Pflegeversicherung in monatlicher Höhe von 152,27 € zu zahlen. Für die Zeit vom 14. August 2010 bis 31. März 2013 ergebe sich ein nachzuzahlender Betrag in Höhe von 4.584,84 €.
Am 10. Juli 2013 beantragte der Antragsteller die Überprüfung, ob seine Beitragsschulden aufgrund der neuen Gesetzeslage reduziert werden könnten. Das lehnte die Antragsgegnerin durch Bescheid vom 1. November 2013 ab. Ein Erlass der Beiträge nach dem mittlerweile in Kraft getretenen Gesetz zur Beseitigung sozialer Überforderung bei Beitragsschulden in der Krankenversicherung könne nicht erfolgen, weil der Antragsteller im Nacherhebungszeitraum Leistungen der Kranken- und Pflegeversicherung bezogen habe. Den dagegen am 2. Dezember 2013 erhobenen Widerspruch wies die Antragsgegnerin durch Widerspruchsbescheid vom 6. Mai 2014 zurück.
Mit der am 5. Juni 2014 bei dem Sozialgericht Berlin eingegangenen Klage und dem Antrag auf Erlass einer einstweiligen Anordnung vom gleichen Tage begehrt der Antragsteller, dass ihm seine Beitragsschulden teilweise erlassen werden und die bereits angekündigte Vollstreckung insoweit unterbleibt. Die Antragsgegnerin hat eine Aufstellung vom 23. Juli 2014 vorgelegt, wonach der Antragssteller Beitragsrückstände für die Zeit bis Juli 2010 in Höhe von 2.621,45 €, für den Nacherhebungszeitraum von August 2010 bis März 2013 in Höhe von 5.001,04 € und für die Monate von April bis Juni 2014 in Höhe von 2.483,65 € habe.
Das Sozialgericht hat den Antrag auf Erlass einer einstweiligen Anordnung durch Beschluss vom 14. August 2014 abgelehnt, nachdem es eine Auskunft des Spitzenverbandes Bund der Krankenkassen eingeholt hat. Zur Begründung hat es ausgeführt, dass Gründe für die Rechtswidrigkeit des bestandskräftig gewordenen Beitragsbescheides vom 6. Mai 2013 nicht ersichtlich seien. Auch die Voraussetzungen für einen (teilweisen) Erlass der Beitragsschulden lägen nicht vor. Denn der erforderliche Verzicht auf die Inanspruchnahme von Leistungen in dem Zeitraum, für den Beiträge nacherhoben werden, sei nicht erfüllt. Der Antragsteller habe nach Beendigung seiner abhängigen Beschäftigung noch Leistungen in Form der ärztlichen Feststellung seiner Arbeitsunfähigkeit in Anspruch genommen. Der Spitzenverband Bund der Krankenkassen, dem der Gesetzgeber aufgetragen habe, das Nähere zur Ermäßigung und zum Erlass von Beiträgen und Säumniszuschlägen zu regeln, habe formuliert, dass der Versicherte für den Erlass der Beiträge auf Kostenübernahme oder Kostenerstattung in Anspruch genommener Leistungen verzichten müsse. Aus der klarstellenden Ergebnisniederschrift der Fachkonferenz Beiträge vom 19. November 2013 ergebe sich, dass jegliche Leistungsinanspruchnahme im Nacherhebungszeitraum den Beitragserlass ausschließe. Auch bei geringwertigen Leistungen komme ein “Rückkauf„ zum Zwecke eines Beitragserlasses nicht in Betracht, da kein Günstigkeitsvergleich eröffnet werden sollte. Die Inanspruchnahme der Leistung sei auch nicht durch den nachgehenden Versicherungssch...